Kolumne Durruti

Eine Kolumne von Thorsten MithaBeginnen wir mit einer kleinen
Geschichte aus dem wahren Leben. Mein Nachbar hat ein amtlich
anerkanntes Rückenleiden, außerdem keinen Führerschein und einen
400-Euro-Job, zu dem er radeln oder mit dem Bus fahren kann. Und er
hat eine Fallmanagerin bei der ARGE. Diese schickt ihm immer wieder
Stellenangebote für Fahrer oder Bauarbeiter, mit dem Hinweis auf
drohende ALG-Kürzungen, wenn er sich nicht bewürbe. Das regt meinen
Nachbarn ziemlich auf. Doch nun zu etwas völlig anderem.

Der Rest der Welt regt sich derweil
über Wikileaks auf, oder wahlweise über die USA und deren unerhört
undiplomatische Diplomaten, oder die kriminellen Cyberangriffe auf
harmlose Wohltätigkeitsorganisationen wie Paypal und Mastercard. Wie
fing das nochmal an? Da sind dummerweise ein paar zigtausend
Dokumente durchgesickert, auf die unter dem Siegel strengster
Vertraulichkeit eigentlich nur eine schlappe knappe Million
Staatsbedienstete Zugriff hatte. Die Medien verfrühstückten erstmal
hocherfreut Depeschen wie die, dass Dirk Niebel eine ziemlich schräge
Wahl sei,Guido Westerwelle eitel und inkompetent oder Wladimir Putin
autoritär. Freilich, etwa das gleiche steht auch in jedem dritten
Zeitungskommentar. Und wer würde hierzulande Angela Merkel schon als
risikofreudig und kreativ bezeichnen? Also, warum sollten
amerikanische Botschaftsangestellte nicht zum gleichen Schluss kommen
und das ihrer Regierung mitteilen? Dass sie es etwas flapsig
rüberbringen mussten, ist auch klar, schließlich sollten es auch
Intelligenzbolzen wie George Dabbelju wenigstens halbwegs verstehen.
Nächster Medienreflex: Das gefährdet den Weltfrieden, also müssen
harte Strafen her!

Mich erinnert das eher an den
gescheiterten Prozess gegen „spickmich.de“. Dort stellten
SchülerInnen ihre Meinung über ihre LehrerInnen ins Netz. Gleiche
Reaktion: Einige LehrerInnen wollten das sofort verbieten lassen,
denn sowas gefährdet ja den Schulfrieden. Im ganzen Rest der
vernetzten Welt ist es übrigens längst üblich, von irgendwem
verfasste Meinungen über XYZ einfach gesammelt für den Rest der
Welt vorzuhalten. Man kann Rezensionen beim Online-Buchhandel
schreiben, in allen möglichen Foren Testberichte über alles
Mögliche publizieren und bei einem bekannten Auktionsportal kann ich
über Turbopowerseller hansi0815 ungefähr 83764mal „supermega
schneller Versand :-)“ oder so lesen. Erleichtert die Orientierung
auf dem etwas unübersichtlichen Markt. Da könnte sich unser Staat
doch eine Scheibe abschneiden. Wäre es nicht sehr deeskalierend,
wenn unsere grünen BeschützerInnen auf Demos statt Nummern
Bewertungen vorheriger Kunden am Revers trügen: „schlägt manchmal
etwas hart zu“, „ziemlich begriffsstutzig“ oder „steht auf
Bullenwitze“?

Was in der großen Welt doch eher als
Lachnummer daherkommt, könnte im Kleinen also eine Wohltat sein.
Auch für meinen Nachbarn. Vielleicht könnte Wikileaks mal was über
seine Fallmanagerin herausbringen. Wenn da nun „ziemlich kreativ,
aber völlig inkompetent“ oder „Alphatier, aber beißt nicht“
stünde, wäre er sicher beim nächsten Schrieb vom Amt gleich viel
gelassener. Damit es sich jedeR merken kann, könnte man solche
Bewertungen auch problemlos standardisieren und auf der Basis
gängiger Farbsymbolik grafisch aufbereiten. Also vielleicht schwarz
für Trantüten à la Merkel und Oettinger, gelb für
Westentaschenwesterwellen, bundeswehrgrün für streb- und folgsame
Emporkömmlinge wie zu Guttenberg, rot für Brutalos und Despoten wie
Putin und braun für noch schlimmer als alle anderen?

Thorsten Mitha

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