Nichts um viel Lärm

Der Autor bei der vergütungsorientierten Leistung.

9,50 Euro solle der gesetzliche
Mindestlohn in Callcentern betragen, wenn es nach dem Deutschen
Beamtenbund (dbb) geht. Ein entsprechender Antrag an den zuständigen
Ausschuss des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wurde
bereits im November 2009 gestellt. Möglich ist dieser Schritt in der
Callcenter-Branche, weil sich die Unternehmen weigern, einen
Arbeitgeberverband zu bilden. Dabei gibt es mehrere
Unternehmensverbände, die aber nicht als Tarifpartner auftreten
wollen. Bundesweit gibt es nur einen einzigen Tarifvertrag mit einem
Callcenter, zwischen ver.di und Walter Services – der Bruttolohn
liegt hier bei 7,50 Euro.

Gälte ein Mindestlohn für die gesamte
Branche, könnten die Unternehmen guten Gewissens und ohne die
Befürchtung, durch Dumpinglöhne der Konkurrenz unterboten zu
werden, die Kosten an ihre Auftraggeber weiterreichen. Es gibt aber
noch eine zweite Möglichkeit, die erhöhten Lohnkosten zu
kompensieren: Durch höheren Leistungsdruck auf die ArbeiterInnen –
also kürzere und mehr Anrufe bei mindestens gleichbleibender
Qualität. Auch bei der Bildschirmpause, Rüstzeiten, Urlaubszeiten
oder durch gesetzeswidrige Regelungen für den Toilettengang kann
„gespart“ werden. So hat das Hamburger Unternehmen D+S in seinen
Callcentern den Stundenlohn vermeintlich um 25 Cent erhöht.
Gleichzeitig wurden die Bildschirmpausen gekürzt, und wo bisher die
frühere Ankunft zwecks Arbeitsvorbereitung bezahlt wurde, ist diese
„Rüstzeit“ gestrichen worden. Insgesamt wird fast eine halbe
Stunde weniger Arbeitszeit an einem achtstündigen Arbeitstag
gezahlt, rund vier Euro also. Das macht pro Tag und ArbeiterIn zwei
Euro Gewinn für das Unternehmen.

Solche Aspekte lassen sich durch einen
gesetzlichen Mindestlohn nicht regeln, sondern nur in der direkten
Auseinandersetzung mit den Unternehmen. Diese aber scheuen die großen
Gewerkschaften, denn der Organisationsgrad in den Callcentern liegt
bei nur etwa fünf Prozent.

Die Lohnlüge der Regierung

Öl ins Feuer
schüttete die Linkspartei fast ein Jahr nach dem dbb-Antrag mit
einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung. Die Antwort der
Regierung (Drucksache 17/3319) ist höchst aufschlussreich.
Missstände sieht sie nicht – würden doch die Callcenter für
Aufschwung und „sichere“ Arbeitsplätze sorgen, wie sich auch an
der Schaffung der neuen Ausbildungsberufe „Kaufmann/-frau für
Dialogmarketing“ und „Servicefachkraft für Dialogmarketing“
zeige. Diese sind allerdings ein Witz, und sicherlich nicht für die
AgentInnen am Telefon gedacht, sondern für jene, die immer noch
glauben, in der Branche eine Aufstiegsmöglichkeit zu haben.

Bei den Löhnen
sieht die Regierung keinen Handlungsbedarf, läge doch der
Durchschnittslohn in den Callcentern bei 11,83 Euro und damit um 58
Cent höher als noch 2007.
Das ist natürlich hanebüchener
Unsinn: In der höchsten Lohngruppe lagen die Löhne bereits 2007
über 25 Euro. Das sind die Löhne der GeschäftsführerInnen oder
auch von ProjektmanagerInnen. In der niedrigsten Lohnstufe – bei
den CallCenter-AgentInnen – sind die Löhne von 9,53 Euro auf 9,30
Euro gesunken. Und, das ist der zweite Trick, selbst diese Zahlen
sind zu hoch gegriffen, denn die Regierung unterscheidet nicht
zwischen Inhouse-Callcentern, die zu einem Betrieb gehören und die
dort üblichen Löhne zahlen, und den eigenständigen
Outhouse-Callcentern, die Aufträge einwerben und die eigentlichen
Billigheimer sind.

Was die Regierung pflegt ist der Mythos
der armen Branche, die in Sachen Lohn tut, was sie kann. Tatsächlich
scheinen den Investoren die Gewinnmargen nicht hoch genug, denn
ansonsten würden die Callcenter nicht immer wieder verkauft werden.
Andererseits finden sich aber auch immer wieder Käufer, die auf die
oben angedeutete Weise mehr Gewinn aus den Callcenter-AgentInnen
pressen wollen.

So etwa das Private Equity-Unternehmen
Apax, das zu Beginn der Krise 2008 die Mehrheit an D+S erwarb. Die
Idee war nicht dumm, ging es D+S doch derzeit darum, möglichst
schnell von der gefährdeten Börse zu verschwinden. Apax garantierte
ein langfristiges Engagement. Die Gewinnmargen ließen für den
Investor aber wohl doch zu wünschen übrig, so dass D+S sich nun von
seiner gesamten Callcenter-Tochtergesellschaft (D+S communication
center GmbH) trennen will. Kein Wunder, dass sich
D+S-Vorstandsvorsitzender Gerold Linzbach laut DPVKOM-Magazin
„gegenüber dem […] geforderten Mindestlohn von 9,50 Euro“
aufgeschlossen zeigt: In naher Zukunft werden ihn diese Löhne nicht
mehr betreffen.

Auch wenn eine Mindestlohnforderung an
den Staat nun wirklich kein Königsweg ist, so liegt hier doch die
Chance, die Dumpinglöhne in der Branche wenigstens zu thematisieren.
Leider wird diese kaum ergriffen. Im Gegenteil: Bei den
Betriebsratswahlen im Dezember 2010 bei D+S Münster fühlte sich
eine ansonsten recht aufrührerisch auftretende Betriebsratsliste
bemüßigt, gegen einen Mindestlohn zu argumentieren, da höhere
Löhne den Standort gefährden würden! Auch ver.di fiel nichts
besseres ein, als eine Individualisierung der sogenannten
„leistungsorientierten Vergütung“ zu fordern. Nicht nur, dass
das datenschutzrechtlich höchst fragwürdig wäre, es wäre auch ein
höchst unsolidarisches Prinzip. Gegen „leistungsorientierte
Vergütung“ hilft nur vergütungsorientierte Leistung: Wenn sie nur
so tun, als würden sie uns bezahlen, tun wir nur so, als würden wir
arbeiten.

Erik Dickmann, FAU Münsterland und
telefonzelle Münster

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