Noch nicht K.O.

Foto: Chris Walls

Die neue britische
Regierung – liberal-konservativ – wäre fast zu bemitleiden. Im
Zuge der Wirtschaftskrise hat auch der Finanzstandort London
gelitten, und nun ist auch Großbritannien von einer Herabstufung
durch die Ratingagenturen, d.h. von höheren Zinsen bedroht.
Jedenfalls ist nun auch auf der Insel, wie im restlichen Europa,
„Sparen“ angesagt. Sicherlich keine leichte Aufgabe, haben doch
bereits die Vorgängerregierungen der letzten Jahrzehnte wo
irgendmöglich den Rotstift angesetzt und das Tafelsilber
verscherbelt.

Doch ein waschechtes
wirtschaftsliberales Kabinett findet immer einen Hebel. Mitte Oktober
kündigte die Regierung 95 Mrd. Euro schwere Einschnitte an. Mit im
Paket: die Erhöhung der Schul- und Studiengebühren. Ein Thema, von
dem man hierzulande wohlweislich – und sei es mit Blick auf den
„Bildungsstandort“ – die Finger lässt. Nicht so die Tories und
Liberalen: Sie ließen prüfen, die Begrenzung der Gebühren auf
umgerechnet 3.866 Euro aufzuheben, bis zu 11.700 Euro sollten die
Universitäten dann gänzlich für ihren eigenen Haushalt verwenden
können.

Es ist klar, welche
Befürchtungen solche Pläne wachrufen und wogegen sich die
Studierenden wehren: Würde nämlich den Universitäten in diesem
Bereich freie Hand gelassen, verkäme die wissenschaftliche
Einrichtung wohl bald zum Club von Privilegierten und einigen wenigen
Stipendiaten. Die Reform würde zudem nicht nur das Uni-Studium,
sondern auch das Abitur und die berufliche Fortbildung betreffen.

Zu einer ersten großen
Demonstration kam es am 10. November in London, zu der die
Gewerkschaften der Lehrkräfte (UCU) und der Studierenden (NUS)
aufgerufen hatten. Sie argumentierten v.a. dahingehend, dass
Bildungsausgaben als Investitionen in einen künftigen
Wirtschaftsaufschwung zu verstehen seien. Hier, inmitten der etwa
50.000 Protestierenden, einer der größten Demonstrationen seit
Jahren, trat erstmals ein „Block radikaler ArbeiterInnen und
Studierender“ auf, der ein bisher ungekanntes Level der Kooperation
verschiedener Basisgruppen darstellte. Der Bündnis warnte, dass ein
von Gewerkschaftsbürokraten und Politikern kontrollierter Kampf die
Regierung nie zum Nachgeben zwingen könne. Der Protestzug drang
schließlich in die Londoner Parteizentrale der Konservativen ein:
Scheiben gingen zu Bruch, Büros wurden verwüstet, jugendliche Wut
brach sich Bahn – eine Woche zuvor war es zu ähnlichen Protesten
in Dublin gekommen. Die zunächst völlig überforderten
Polizeikräfte nahmen schließlich 50 Protestierende fest und
fahndete nach 250 weiteren.

Es wäre jedoch irrig,
diesen Gewaltausbruch allein den radikalen Gruppen wie der
IAA-Sektion Solidarity Federation (SolFed) und anarchistischen
Gruppen zuzuschreiben. Einige Zeitungen behaupteten gar, die SolFed
allein sei für die Zusammenstöße verantwortlich, was diese als
„absurd“ zurückwies. Ein beteiligter Student erklärte, „es
waren garantiert einige Anarchisten da, aber ich muss sagen, es waren
insbesondere jüngere Studenten“ in der Menge, aber auch
Lehrkräfte. Ein 17-Jähriger erklärte: „Gewalt ist sicherlich
nicht gut, aber es ist der einzige Weg, damit sie uns zuhören.“
Ein Assistent im Fachbereich Internationale Beziehungen der
Sussex-Universität wird mit der Aussage zitiert, es gäbe etliche
Regierungsgebäude in diesem Teil Londons und „alle wären legitime
Ziele von Protest und Besetzung gewesen“. Auch David Graeber,
Anthropologe am Londoner Goldsmiths-College sagt, er sei „sehr
stolz“ auf die Studierenden und SchülerInnen, und fügt hinzu:
„Sie [die Regierung] werden uns als Schläger hinstellen, aber in
Wirklichkeit sind sie die Schläger und wir stehen für die
Zivilisation.“

Zwei Wochen darauf
anlässlich eines weiteren landesweiten Aktionstages versuchten die
„Sicherheitskräfte“, die Demonstrationen einzukesseln und
erneute Besetzungen zu verhindern. Der SolFed zufolge gelang es den
Protestierenden jedoch vielfach, die Polizeiketten zu durchbrechen
und teils auch (Universitäts-)Gebäude über 24 Stunden hinweg zu
besetzen.

In der Zwischenzeit wurde
die Reform im Dezember vom Parlament mit knapper Mehrheit
verabschiedet: die Obergrenze wurde nicht aufgehoben, sondern auf
10.700 Euro ausgedehnt. Ein Erfolg der Proteste ist das nicht. Aber
es war sicher nur die erste Runde in einem langen Kampf gegen die
Angriffe der Regierung, die nun einen erneuten Anlauf nehmen will,
die Post zu privatisieren.

Simon Galliers und André
Eisenstein

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