Nachkriegsprostitution – damit das Militär befriedigt wurde

Prostituierte in Hamburg (Quelle: ludersocke.blog.de)

Huren
galten seit Bekanntwerden von geschlechtlich übertragenen
Krankheiten im Mittelalter als größte Infektionsquelle, weshalb
jede ihrer Arbeitsreglementierungen einherging mit der Bekämpfung
von Geschlechtskrankheiten.

Staatliche
Zwangsmaßnahmen wurden auch in der Nachkriegszeit nicht gegen das
Gewerbe getroffen, sondern gegen kranke Huren. Denn wenn die
Prostitution nicht existiert hätte, hätten die Militärs ihrem ach
so natürlichen Trieb nicht nachgehen können. Sie hätten die Frauen
nicht so gut unterdrücken können: als vom Krieg Geschädigte, die
dringend Geld zum Überleben brauchten, und als deutsche Frauen, als
besiegte Feindinnen.

Kriegsminister
Erich von Falkenhayn forderte bereits 1914 „eine verschärfte
polizeiliche Überwachung der Prostitution“. Die größeren Städte
hatten umfangreiche Einquartierungen zu bewältigen, weshalb „im
Interesse des Gesundheitszustandes der zur Fahne einberufenen
Mannschaften und der Bevölkerung überhaupt“ die Schutzmaßnahmen
erweitert werden sollten. „Zweifelhafte Lokale“, in denen
„zweifelhafter Verkehr“ stattfand, wurden geschlossen und
Polizeipatrouillen eingesetzt: Prostituierte durften bestimmte
Straßen nicht mehr betreten.

„Wenn nach
dem unglücklichen Kriege für Deutschland die allgemeinen Fragen der
Bevölkerungspolitik zu den wichtigsten der Jetztzeit gehören, so
ist insbesondere die der erschreckenden Ausbreitung der
Geschlechtskrankheiten infolge des Krieges und der Nachkriegszeit,
gerade der Kampf gegen diese Volksseuchen für die Zukunft des
deutschen Volkes eine Lebensfrage geworden,“ heißt es in einer
Mitteilung der Geschlechtskrankheitenfürsorge von 1921. In
Beratungsstellen für Erkrankte lagen Belehrungs-Merkblätter, in
denen u.a. vermerkt wurde: „Bei jedem außerehelichen
Geschlechtsverkehr besteht die Gefahr der Ansteckung mit
Geschlechtskrankheiten. Mädchen und Frauen, die zu Erwerbszwecken
Geschlechtsverkehr treiben (Prostitution) oder sonst ein lockeres
Geschlechtsleben führen, sind fast ausnahmslos krank.“ Die
Vorurteile und Abwertung gegenüber Huren und Frauen insgesamt sind
offensichtlich.

Die
Ruhrbesetzung in Düsseldorf

Nach
Kriegsende wurde das linksrheinische Gebiet Düsseldorfs von
belgischen Truppen besetzt, französische Truppen nahmen 1921 einige
rechtsrheinische Städte unter ihre Besatzung, darunter auch
Düsseldorf.

In fast
allen größeren Städten fanden kostenlose ärztliche Untersuchungen
von Prostituierten statt. Neben der schlechten Hygiene war der bei
der Düsseldorfer Sittenpolizei vorhandene Untersuchungsraum sehr
feucht, es herrschten Temperaturen zwischen zwölf und neun Grad, die
Untersuchungen waren somit stets mit einer möglichen
Gesundheitsschädigung verbunden und den Frauen damit kaum zumutbar.
Darüber hinaus waren die Instrumente zum Teil erheblich beschädigt.
Alle Frauen mussten sich vor der ärztlichen Untersuchung zur
Durchführung bereit erklären, eine Ablehnung führte zur
Zwangsuntersuchung.

Die für
Düsseldorf zuständige französische Militärbehörde erließ
Vorschriften zur „Erhaltung der Gesundheit der Truppen“;
mutmaßlich geschlechtskranke Frauen wurden unmittelbar festgenommen
und durch den deutschen Sanitätsdienst untersucht – wie immer
durch Männer. Bei einer festgestellten Krankheit wurden sie in eine
Anstalt gebracht, dann wurde weiter entschieden, über Ausweisung
oder dortigen Verbleib. Die deutsche Polizei sollte den Zutritt zu
Kasernen bewachen und alle verdächtigen Frauen fernhalten, unter
Leitung der Besatzungstruppen. In den Vorschriften fand sich aber
auch der Hinweis, dass diese Maßnahmen nicht ausarten und
missbraucht werden sollten, den Charakter „unnötiger Belästigung“
annehmen dürften; was hinderlich wäre zur „Anbahnung herzlicher
Beziehungen und sympathischer Verhältnisse zwischen Zivil und
Militär.“ Es galten in der französischen Zone annähernd
dieselben Regeln wie für die belgisch besetzte, in der die
Prostitution auch geregelt war, wie in der „Anordnung des
kommandierenden Generals der belgischen Ruhrarmee über die
Prostitution“zu ersehen. Darin hieß es: „Jede Frau, die sich der
gewerbsmässigen Unzucht heimlich hingibt und angeschuldigt wird,
Soldaten verseucht zu haben, ist unverzüglich von den deutschen
Behörden zu verhaften oder sie wird von einem Mitglied der
belgischen Sicherheitspolizei oder der Gendarmerie baldmöglichst den
deutschen Behörden ausgeliefert.“ Sobald sich die Besatzer über
„unsittliche Damen“ beschwerten, wurden die Kontrollen der
deutschen Behörden verschärft. Die Beschuldigung einer Frau,
unsittlich zu sein, genügte schon, sie untersuchen zu lassen. Die
Krankheit galt als geheilt bzw. der Fall als abgeschlossen, wenn die
Frau behandelt wurde. Ähnliche Zwangsmaßnahmen für infizierte
Soldaten gab es nicht.

Zur
permanenten Gesundheitsüberwachung für die Freier mussten Huren
einen mehrseitigen Identitätsausweis mit sich führen, in dem ihre
Gesundheit ärztlich bestätigt wurde. Jedem Militärangehörigen
sollte er unaufgefordert vorgezeigt werden. Daneben waren im Ausweis
Verhaltensregeln zum Umgang mit Geschlechtskrankheiten aufgeführt,
die verdeutlichen, unter welchen Bedingungen die Frauen arbeiten
mussten. „Verboten ist ein Beischlaf mit Männern, die an eitrigem
Ausfluss aus der Harnröhre (Tripper) leiden oder Ausschläge an den
Geschlechtsteilen haben (Flecke, entzündete oder offene Stellen –
Syphilis, weiche Schanker)“, heißt es darin.

Bordelle
als Institution

In den
französischen Vorschriften wurde u.a. gefordert, die öffentlichen
Häuser, in denen Huren arbeiteten, „in selber Weise, wie vor
Ankunft der Truppen“ zu kontrollieren. Es sollte aber auch „eine
gewisse Anzahl dieser Lokale, (…) für die Militärpersonen
reserviert sein (…)“. Welche, wurde im Einvernehmen zwischen der
städtischen Behörde und dem Ortskommandanten festgelegt. Diese
Bordelle wurden unter den von den Besatzern festgelegten Bestimmungen
betrieben; Deutsche hatten keinen Zutritt, sie durften nur in
getrennten Salons verkehren. Jede Hure hatte in ihrem Zimmer einen
Vorrat von „Toilettenmaterial“ und „erforderlichen
Vorbeugungsmitteln“ bereitzuhalten, was aber nicht immer genutzt
wurde. Die Besatzungsbehörde befahl deshalb das Anbringen von
Plakaten in deutscher und französischer Sprache in allen bekannten
Bordellzimmern, mit dem Text: „Bekanntmachung! Die Besucher werden
darauf aufmerksam gemacht, daß in diesem Hause Viro und
übermangansaures Kali zu Desinfektionszwecken von der Inhaberin
bereitgehalten werden muß. (…) Die Polizeiverwaltung.“ Die
äußerst komplizierte Anwendung der Mittel mag ein Grund gewesen
sein, weshalb sie weiterhin nicht immer genutzt wurden. Jede Frau
eines öffentlichen Hauses sollte für den eigenen Bedarf einen
ausreichenden Vorrat an Schutzmitteln besitzen, wie es bereits durch
die deutsche Polizeibehörde vorgeschrieben war. Ebenso hatte die
deutsche Obrigkeit darauf zu achten, dass der Militärbehörde
jederzeit genügend Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt
wurden, wenn sie welche verlangte.

Einige
Häuser wurden den französischen Mannschaften zugeteilt, andere
formell untersagt. Sobald sich ein Franzose in einem Etablissement
ansteckte, wurde das Haus von der Besatzungsbehörde für die
Mannschaften verboten, allerdings forderten und erhielten sie im
Gegenzug ein anderes Bordell, das nur ihnen offen stand. 1925 zogen
die Franzosen und 1926 die Belgier wieder ab, bis dahin wurde stets
dafür gesorgt, dass sie sexuell durch Frauen befriedigt werden
konnten.

Die
Situation nach dem Zweiten Weltkrieg

Mit
Kriegsende 1945 begannen Frauen, sich zwischen den Ruinen zu
prostituieren. Sie waren oft verwitwet und ohne Besitz, zum Teil
hatten sie (kleine) Kinder, um die sie sich kümmern mussten, die
sogenannte „Kellerprostitution“ war über weite Teile des Landes
verbreitet. Die Räume, in denen sie lebten und ihren Lebensunterhalt
verdienten, waren oft feucht und ohne Fenster, Licht und Wasser. Von
der Decke tropfte es, die Mauerwände waren nackt und kalt. Nicht
selten litten die Frauen am Nachlassen der körperlichen und
seelischen Widerstandskraft. Die hygienischen Bedingungen waren
miserabel, Geschlechtskrankheiten und Tuberkulose nahmen zu. Die
Folgen waren verheerend: Viele Frauen wurden erst durch die in der
Stadt stationierten Soldaten geschlechtskrank, andere schwanger. Nach
Angaben Erika Schillings töteten sie oftmals ihr Neugeborenes,
nachdem sie es in den Trümmern gebaren – aus Hilflosigkeit.

Wenn bekannt
wurde, dass ein Soldat oder eine andere Person sich eine
Geschlechtskrankheit zugezogen hatte, so mussten die deutschen
Beamten die Ansteckungsquelle, also die in Frage kommende
Prostituierte, ermitteln und untersuchen lassen. In den
amerikanischen Zonen wurden an öffentlichen Plätzen, an denen GIs
verkehrten, sogar steckbriefliche Warnungen erkrankter Frauen
aufgehangen, wenn vorhanden mit einem Foto und Informationen über
ihre Geschlechtskrankheit.

Die
US-amerikanischen Besatzer nahmen sich aus vielen Gründen eine
Prostituierte in Deutschland: Dadurch, dass es extra für sie
eingerichtete Bordelle gab, entstand der Eindruck, dass sie im
Gegensatz zu den russischen Soldaten offiziell keine Frauen
vergewaltigten. Die Moral der Truppen muss sich auch dadurch gestärkt
haben, dass sie ein erhabeneres Gefühl den deutschen Männern
gegenüber entwickelten, da sie den Kriegsverlierer auch damit
demütigen konnten, seine Frau oder Tochter zur Prostituierten zu
machen. Die Frauen standen laut Schilling zum Teil Schlange vor den
Kasernen, da sie ganze Familien von ihrem Einkommen ernähren
mussten, es kam zu einer regelrechten Massenprostitution.
Stationierte Amerikaner bekamen schon auf ihrem Weg nach Deutschland
Broschüren, in denen die GIs gewarnt wurden, sich zu schützen;
ihnen wurde ein Fraternisierungsverbot ausgesprochen. Nach Angaben
des American Mercury von 1945 waren in manchen Zonen Deutschlands bis
zu 50 Prozent der GIs mit einer Geschlechtskrankheit infiziert. Die
US-amerikanische Armee verteilte sogar Kondome an ihre GIs, und trotz
allem wurden pro Monat 2.000 bis 3.000 Geburten von Kindern mit einem
US-amerikanischen Vater in Deutschland verzeichnet.

Die
Besatzungsmächte forderten direkt nach Kriegsende strengere
Bestimmungen, um ihre Soldaten vor den sich immer weiter ausweitenden
Geschlechtskrankheiten zu schützen. „Da das
Geschlechtskrankenproblem sowohl die deutsche Bevölkerung als auch
die Besatzungstruppen wesentlich (…)“ berühre, plädierte Walter
Menzel, der Innenminister des Landes NRW, nach dem Zweiten Weltkrieg
für eine enge Zusammenarbeit von Gesundheitsamt, Polizei und
Jugendamt. Drastisch schilderten die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes
die Misere der schlecht ausgebildeten und nicht ausreichend
geschulten Beamten, die in der Hitlerzeit erzogen wurden: In einem
Bericht vom November 1947 unterstellten sie der Polizei Versagen „auf
ganzer Linie“ und erklärten, „Es liegen in der Praxis sogar
mehrere Fälle vor, in denen Polizeibeamte als Infektionsquelle in
Frage kommen.“

Prostitution
als letztes Mittel

Primäre
Gründe anschaffen zu gehen, vor allem für die vagabundierenden
Mädchen und Frauen, waren nach Angabe der Zeitschrift
für Haut- und Geschlechtskrankheiten
„wirtschaftliche
Not, zerrüttete Familienverhältnisse, vergesellschaftet mit
Ursachen, die in der seelischen Struktur des Einzelnen zu suchen“
seien, aber auch „Arbeitsscheu, Leichtsinn, Abenteuerlust, sexuelle
Hemmungslosigkeit“ und Loslösung vom Elternhaus. Dass die
Prostitution für viele nicht der einzige Weg war, um an Geld zu
kommen, stellen Polizeibeamte noch heute in Frage.

Nach den
beiden Weltkriegen waren die wirtschaftlichen Verhältnisse in
Deutschland miserabel, weshalb die Prostitution stets eine Nische
bot, Geld zu verdienen. Doch nach Heimkehr der Männer wurden diese
Jahre laut Schilling unter den Teppich gekehrt, als habe es sie nie
gegeben. Viele der Frauen sprachen nie über das, was sie taten, und
tragen die Geschichten zum Teil noch heute mit sich herum. Viele
gingen davon aus, dass sie selbst Schuld an der Demütigung hatten,
da sie sich in einer gewissen Art freiwillig zur Prostitution
entschieden – die Folge war Verdrängung.

Es wurden
nahezu nur die Frauen als Krankheitserreger betrachtet, der Mann –
der natürlich auch Krankheiten weitergab – nur als angestecktes
Opfer. Und trotzdem brauchte das „Opfer“ die „Täterin“ zur
Befriedigung seiner Lust, die den Alliierten im Deutschland der
Nachkriegszeit immer staatlich gewährt wurde.

Mareen
Heying

 

Die
Autorin

Mareen Heying studiert
Neuere und Neueste Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum mit den
Schwerpunkten Frauenbewegung, Prostitution und
Geschlechtergeschichte. Sie gehört zum Redaktionsteam der
feministischen Zeitschrift „Wir Frauen“, ist im Vorstand der
„kom!ma“, dem Verein zur Förderung von Frauenkommunikation in
Düsseldorf, und freie Autorin für die Tageszeitung „junge
Welt
“.

Der hier abgedruckte Text
ist ein Auszug aus ihrer Bachelorarbeit, in der sie die
Nachkriegsprostitution der Stadt Düsseldorf archivarisch untersucht
hat; ein Thema dem sich zuvor niemand in der Form gewidmet hatte.

 

Empfehlung
zum Weiterlesen

Erika Schilling:
Zigarettenwährung.
Zwangsprostitution in der amerikanischen Zone nach dem zweiten
Weltkrieg.

Die 1921 geborene
Schilling verbrachte die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in
Frankfurt, wo sie sich als alleinerziehende Mutter durchschlagen
musste. Schilling erhielt Einblicke in die örtliche
Prostitutionsszene, ihre Eindrücke sind realitätsnah und aus Sicht
der Huren geschildert. Im August 2010 verstarb sie in Wuppertal. Ihr
Reader ist zu beziehen über das Gleichstellungsbüro der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Die Bedeutung von
Sexualität im Krieg und die Legitimation von Lagerbordellen und der
„Notwendigkeit“ von Prostituierten wird auch sehr deutlich in dem
Buch von Regina Mühlhäuser: Eroberungen.
Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der
Sowjetunion 1941 – 1945
.

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