Die sind doch krank!

Montage: A. Eisenstein, mit dem Logo der DFG-VK

Turbulenzen im
Luftverkehr gibt es in den letzten Wochen allerorten. Zuletzt
überraschten die Piloten der Berufsgewerkschaft Cockpit mit einem
unangekündigten Streik. Zwar blieben bei den bestreikten
Fluggesellschaften Germania und Tuifly nur wenige Flugzeuge am Boden.
Aber ein „Überraschungsstreik“ ist mehr, als man hierzulande von
einer nicht-revolutionären Gewerkschaft gemeinhin erwartet.

Ein ganz anderes
Konfrontationsniveau erreichte ebenfalls Anfang Dezember eine kurze,
aber heftige Auseinandersetzung in Spanien: In dem angeblich
konkursbedrohten Land traten die Fluglotsen in den Ausstand.
Hintergrund ist ein seit Monaten schwelender Konflikt um die
Arbeitszeiten der Luftraumkontrolleure. Hinzu kommen Pläne der
Regierung, die staatliche Flughafenbehörde inkl. der zwei
Großflughäfen Madrid und Barcelona teilweise zu privatisieren.

Nachdem das Reformgesetz
bereits im April verabschiedet worden war, unterzeichnete der König
am 3. Dezember eine Verordnung, mit der die Arbeitszeit um 25% auf
1.700 Stunden pro Jahr angehoben werden. Was sich, in absoluten
Zahlen besehen, recht bescheiden ausnimmt, lässt jedoch die
konzentrationsintensive Tätigkeit außer Acht. In der Bundesrepublik
etwa dürfen Fluglotsen nur zwei Stunden am Stück arbeiten, danach
gibt es aus Sicherheitsgründen eine Ruhepause.

In Spanien hatte die
Lotsengewerkschaft UCSA bereits Anfang August eine Urabstimmung
durchgeführt, den Streik in der Hochsaison jedoch aus
„Verantwortungsbewusstsein“ abgesagt. Im Dezember nun warteten
die Lotsen nicht mehr auf ein Signal ihrer Organisation. Noch am Tag
der Verkündung des Dekrets legten die Betroffenen mit der
Spontaneität eines breiten Konsens’ ihre Arbeit nieder. Dabei
griffen sie zum Mittel des „Sick-out“: rund 90% der 2.400
Fluglotsen meldeten sich krank.

Mit einer höheren
Regelarbeitszeit fallen v.a. die Überstunden­ weg. Die „reichste
Facharbeitergruppe Spaniens“, wie es in der FAZ
hieß, sieht sich mit Lohneinbußen von gut 41% konfrontiert. Damit
würde sie, so schätzt der Vorsitzende der Gewerkschaft der
Flugsicherung, Michael Schäfer für die DA,
beim EU-Durchschnitt in diesem Bereich – ca. 130.000 Euro
Jahresverdienst – landen.

Binnen kürzester Zeit
zeigte sich die strukturelle Macht dieser kleinen Gruppe, an den
Folgen ihrer Aktion: Noch am selben Tag wurde der Luftraum
geschlossen, rund 300.000 Passagiere waren direkt betroffen. Neu ist
das nicht (anders lässt sich der Tarif nicht erklären). Auch nicht
neu ist die hysterische Hetze der Presse, die von Flugpassagieren in
„Geiselhaft“ schwadroniert. Neu ist die Nervosität der
Regierung.

Den Finger am Abzug

Der spanische Premier und
Sozialdemokrat José Zapatero bezeichnete den Ausstand als
inakzeptabel: Nach einer nächtlichen Krisensitzung rief er den
„Alarmzustand“, die niedrigste Stufe des nationalen Notstands
aus. Das Militär besetzte die Flughafen-Kontrolltürme, die
„erkrankten“ zivilen Fluglotsen wurden der Luftwaffe unterstellt
und dienstverpflichtet. Zeitungsberichten zufolge, wurden sie teils
mit gezogener Waffe zurück an die Arbeit gebracht. Wer sich weigern
würde, die Arbeit anzutreten, riskierte vor einem Militärgericht
bis zu 15 Jahre Haft. So war denn der Widerstand in 24 Stunden
gebrochen und die Tourismusbranche konnte der Normalisierung
entgegensehen. Zur Bändigung der Widerspenstigen verlängerte das
Parlament den zweiwöchigen Alarmzustand Mitte Dezember um vier
Wochen. Nicht nur die Verlängerung, die Ausrufung des Notstands
selbst ist (bisher) einmalig im demokratischen Spanien.

Dasselbe Vorgehen im Juli
in Griechenland. Ein halbes Dutzend befristeter „Generalstreiks“
riefen die Gewerkschaften 2010 bereits aus. Doch eine der betroffenen
Gruppen machte ernst: die selbständigen Tankwagenfahrer. Nachdem
jahrzehntelang keine neuen Lizenzen mehr ausgegeben worden,
entwickelten sie sich zu einer Art Rentenversicherung. Nun soll
dieser Sektor liberalisiert werden – dagegen traten die Fahrer in
den Streik. Am dritten Tage griff die Regierung zur
Arbeitsverpflichtung per Notfallverordnung und setzte, angesichts
anhaltenden Widerstands, mehrere hundert Militärtankwagen ein, um
die Sprit-Blockade zu brechen. Eher symbolisch kam auch die
französische Armee im Oktober 2010 im Landesinnern zum Einsatz, um
die Bewegung gegen die Rentenreform zu kontern: Auf Anweisung der
Regierung wandten sich Soldaten gegen die streikende Stadtreinigung
in Marseille und leerten einige der tausenden Mülltonnen.
Schwerwiegender als dieser Einsatz aber dürfte die
Zwangsverpflichtung streikender Raffinerie-Arbeiter gewesen sein, die
das Rückgrat der Bewegung gebildet hatten.

Alle zwei Monate ein
Militäreinsatz gegen Streikende: Die Nerven liegen blank bei den
Regierenden Europas. Kein Wunder, lassen sie sich doch von „den
Anlegern“ und Ratingagenturen wie am Nasenring durch die Manege
führen. Sicherlich wäre es übertrieben, von einer Militarisierung
des Streikrechts auf breiter Bahn zu sprechen. Zweifelsohne jedoch
sind diese Ereignisse Leuchtfeuer, im Guten wie im Schlechten: In
allen Fällen befanden sich die Streikenden an strategischer Position
in einer zentralen Branche. Sie konnten binnen weniger Tage einen
enormen wirtschaftlichen Druck aufbauen. Auf
politisch-gesellschaftlicher Ebene aber standen sie weitgehend
allein, sei es dass sie in einer Spartengewerkschaft organisiert
waren und als „privilegierte Kaste“ isoliert wurden, sei es dass
sie stellvertretend als sympathiebeladene Speerspitze die Kastanien
aus dem Feuer holen sollten. In allen Fällen scheute der Staat die
Konfrontation nicht: Die Streikenden mochten schlagkräftig sein,
aber ihre Reihen waren überschaubar. Man bedrohte sie nicht als
Masse, sondern richtete sich an alle Beteiligten einzeln: per
Mobilisierungsbefehl. Die taz
zitierte Spaniens Innenminister Rubalcaba, der als Nachfolger
Zapateros gehandelt wird, mit den Worten „Wer den Staat
herausfordert, verliert.“ Wenn das keine Lektion ist.

André Eisenstein

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