Arm gegen arm

In Europa mag es viele überrascht haben, als am 11. Mai
diesen Jahres sog. fremdenfeindliche Gewaltexzesse auf den staubigen Straßen
des Townships (1) von Alexandra (Gauteng) ausbrachen. Schnell breiteten sie
sich in andere Provinzen, wie z.B. Mpumalanga und das Westkap, aus. In Folge
dessen wurden 62 Menschen getötet, 45.000 vertrieben und 1.435 verhaftet.
Tatsächlich sind die Angriffe gegen ImmigrantInnen in Südafrika seit Jahren
angestiegen. Allein 600 Somalis wurden schätzungsweise in solchen
Ausschreitungen seit 2002 getötet. Die Vereinigung für Flüchtlinge und
Migranten in Südafrika (2) wies nach, dass sich seit Dezember 2007 in 13
Gemeinden „Mobübergriffe auf Nicht- Staatsangehörige“ ereigneten.

Präsident Mbeki wurde durch den südafrikanischen
Inlandsnachrichtendienst bereits im Januar darauf hingewiesen, dass diese Form
von Unruhe „insbesondere in Alexandra“ am gären sei. Warum wurde nichts dagegen
unternommen? Es scheint plausibel, dass bestimmte Elemente im Staatsapparat entweder
die Gewalttätigkeiten schürten oder bewusst von einer Intervention absahen, um
zu sehen, wie weit das Ganze gehen würde; um zu sehen, bis zu welchem Ausmaße
die unteren Klassen in einer Massenhysterie „gegeneinander“ aufgebracht werden
könnten.

Was ist passiert?

Mitglieder der Anwohnervereinigung von Alexandra (3), die
beschuldigt wird, die Gewalttätigkeiten angekurbelt zu haben und zu
propagieren, dass AusländerInnen aus dem Land getrieben werden sollten, trafen
sich vermutlich am 10. Mai mit Taxifahrern aus Alexandra. Diese legten den
ImmigrantInnen zur Last, dass sie deren Arbeitsplätze wegnähmen und für
niedrigere Löhne arbeiteten, womit sie das allgemeine Lohniveau nach unten
treiben würden. Sie machten die ImmigrantInnen ebenso für die Verbrechenszunahme
verantwortlich. Vermutlich geschah es auf diesem Treffen, dass man beschloss,
die Nicht-Staatsangehörigen sollten aus dem Township vertrieben werden.

Bis zum Abend des 11. Mai stand Alexandra in Flammen.
Mobhorden waren organisiert worden und zogen von Hütte zu Hütte, auf
Immigranten einprügelnd, deren Frauen vergewaltigend und sie vor die Wahl
stellend, zu gehen oder zu sterben. Sie plünderten Läden und Häuser von
ImmigrantInnen und setzten sie in Brand. Zwei Personen starben in dieser ersten
Nacht der Gewalt, darunter ein südafrikanischer Mann. Die Tatsache, dass ein
südafrikanischer Staatsangehöriger getötet wurde (vermutlich, weil er sich
weigerte, sich an den Gewaltexzessen zu beteiligen), sollte kennzeichnend genug
sein für die Wesensart der Ausschreitungen und deutlich machen, dass es dabei
nicht nur um ImmigrantInnen ging, die Arbeitsplätze stehlen würden.

Was waren die Reaktionen?

Die südafrikanische Polizei reagierte — im Gegensatz zu
Szenarien, bei denen es um die Rechte der Arbeiterklasse geht — äußerst langsam
und ineffizient, wenn das Leben von Menschen in Gefahr geriet. Ihre Präsenz
trug nichts dazu bei, dass weitere Gewalt unterbunden wurde.

Anstatt Verantwortung zu übernehmen, verwies die Regierung
auf eine „böse“ dritte Kraft, die demnach versuchen würde, das Land im Vorfeld
der Wahlen im nächsten Jahr zu destabilisieren, und erklärte, dass die Gewalt
in erster Linie ein Fall von opportunistischer Kriminalität sei. Diese Reaktion
glich der Regierungshaltung, zu vorangegangenen Protesten gegen die schlechten
öffentlichen und sozialen Dienstleistungen.

Dagegen reagierten die sozialen Bewegungen sehr schnell.
Teile des Anti-Privatisierungsforums (4) waren die ersten, die mit einer
internationalistischen Position auf die Angriffe antworteten. Trotz der
Tatsache, dass fremdenfeindliche Stimmungen zuvor auch innerhalb der sozialen
Bewegungen vorzufinden waren — und dass es durchaus möglich sein könnte, dass
Angehörige dieser Bewegungen sich an den Ausschreitungen beteiligten — obsiegte
die internationalistische Strömung. Und es waren wahrscheinlich allein die
sozialen Bewegungen und die revolutionäre Linke, die auf die Angriffe
internationalistisch antworteten, wobei sie sich zu einem gewissen Maße auf
einen Klassenstandpunkt stützten. Während Politiker, Journalistinnen und
Intellektuelle aus dem gesamten bürgerlichen politischen Spektrum strengere
Grenzkontrollen forderten, vertrat das Anti-Privatisierungsforum die Position,
dass „niemand illegal ist“.

Die Organisation Abahlalibase Mjondolo (5) erklärte ihre
Absicht gegen jegliche Angriffe vorzugehen, und die Anti-Eviction-Campaign (6)
gab bekannt, dass sie zur Verhinderung eines Angriffes im Westkap erfolgreich
mobilisieren konnte. Auf ähnliche Weise gaben AktivistInnen der sozialen Bewegungen
in Gauteng ihre Unterstützung von Verteidigungsbemühungen zum Ausdruck, und
manche versuchten, die in den innerstädtischen Slums von Johannesburg lebenden
Menschen zu mobilisieren, um die ImmigrantInnen in ihren Gemeinden zu
verteidigen.

Was waren die Ursachen?

Auf der Suche nach einem Motiv für die Gewalt scheint die am
meisten auf der Hand liegende Schlussfolgerung zu sein, dass Menschen ihren
eigenen Zorn und Frust über Arbeitslosigkeit, Armut und Verbrechen,
Wohnungsknappheit und mangelnde soziale Leistungen gegen die Verletzlichtesten
in ihren Gemeinden fehlrichteten.

Die Menschenrechtskommission stellte in einer Untersuchung
über Fremdenfeindlichkeit fest, dass die Polizei „ihre Macht missbraucht durch
die willkürliche Festnahme und Inhaftnahme von AusländerInnen; durch die
Vernichtung von Rechtsdokumenten; und durch Bestechungen, Korruption und
Erpressung.“ Es ist klar, dass die Polizei, wenn sie offen solch eine Haltung
gegenüber ImmigrantInnen zur Schau stellt, ein ähnliches Verhalten in der allgemeinen
Öffentlichkeit anspornt.

Solche fremdenfeindlichen Haltungen finden sich jedoch nicht
nur bei der südafrikanischen Polizei. PolitikerInnen jeglicher Couleur haben
ImmigrantInnen öffentlich beschuldigt, Drogenhändler zu sein, und sie für die
Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht; während die südafrikanischen Medien
andauernd Sensationsgeschichten über ImmigrantInnen herstellen, dabei solch
abwertende Bezeichnungen wie „Fremdlinge“ verwenden und stets betonen, dass ein
Verbrechen von einem „Ausländer“ begangen wurde.

Auch wenn die oben genannten Aspekte als Gründe für die
Eruption der Gewalt herangezogen werden können, so wäre es doch ein Fehler,
diese als die einzigen Ursachen für die Unruhen zu sehen.

Unzweifelhaft ist eine der Hauptursachen für die
fremdenfeindliche Gewalt der Nationalismus generell. Studien haben gezeigt,
dass es eine extreme Stimmung gegen AusländerInnen in Südafrika gibt. Der
regierende African National Congress (ANC) fördert im Bündnis mit der
Südafrikanischen Kommunistischen Partei — welche das links-ideologische
Feigenblatt für die sog. National-Demokratische Revolution des
bürgerlich-nationalistischen ANC liefert (7) — diese Stimmung, indem sie
Kampagnen wie „Proudly South African“ (8) durchführen. Dabei werden sie unterstützt
von Oppositionsparteien und erhalten die Zustimmung von allen großen
südafrikanischen Unternehmen. Letztere hegen einen Nationalstolz und
Patriotismus für Südafrika, das meist industrialisierte Land des Kontinents, in
Opposition zur Solidarität über künstliche koloniale Grenzen hinweg, die der
ANC unkritisch akzeptiert. Die „Proudly South African“-Kampagne, die explizit
dazu auffordert, „südafrikanisch einzukaufen“ (d.h., lokal erzeugte Produkte zu
kaufen), weicht die internationale Solidarität der Arbeiterklasse auf, indem
sie die Illusion nährt, ArbeiterInnen sollten die lokale Ökonomie unterstützen,
um damit Arbeitsplätze innerhalb Südafrikas zu schaffen, anstatt sich
solidarisch international zu vereinigen und gemeinsam über Grenzen hinweg zu
kämpfen.

Die Angriffe müssen ebenso im weiteren Kontext eskalierender
Stufen von chauvinistischer Gewalt gegen Frauen und insbes. schwarze Lesben
gesehen werden. Laut People Opposed to Women Abuse (9) wurden seit 2006 zehn
Lesben bei homophoben Angriffen gegen Frauen getötet; also durchschnittlich
eine alle drei Monate. Der Anstieg dieser Art von Gewalt legt eine wachsende
Kultur des Chauvinismus in der südafrikanischen Gesellschaft nahe. Tatsächlich
wird der ANC-Vorsitzende — und angehende Präsident Südafrikas — Jacob Zuma von
seiner Wählergruppe als männlicher Chauvinist betrachtet. Und auch wenn er
selbst nicht direkt mit diesem Image auf Stimmenfang ging, so hat er doch
nichts dagegen getan, diese Wahrnehmung seiner Person unter seinen
Unterstützern aus der Welt zu räumen. Die sexistischen Äußerungen, die er
während des Vergewaltigungsverfahrens (10) gegen ihn machte, haben lediglich
dieses Bild über ihn verstärkt — und schürten die Ausbreitung sexistischer und
chauvinistischer Haltungen bei Leuten im ganzen Land. Es ist bezeichnend, dass
— obwohl Zuma dies öffentlich missbilligte —, der Mob während seiner
fremdenfeindlichen Exzesse häufig „Unshini Wami“ („Bring mir mein
Maschinengewehr“) sang: Jacob Zumas Kennungslied, das bekannt gemacht wurde
durch Umkhonto weSizwe, den bewaffneten Arm des ANC, während des
Anti-Apartheid- Kampfes und seitdem von Zulus (Südafrikas größte ethnische
Gruppe) wie auch von Zuma-Anhängern als deren inoffizielle Hymne übernommen
wurde.

Es ließe sich spekulieren, ob die sog. fremdenfeindliche
Gewalt (11) aus der manipulativen Instrumentalisierung von Nationalismus und
ethnopolitischen Differenzen durch politische Kräfte resultiert. Deren Nutzen
könnte es sein, die Gewalt zwischen arm und arm zu schüren, um damit den Frust
über fehlende Arbeitsplätze und Sozialleistungen von der Regierung und lokalen
Funktionären abzulenken. Wenn dem so ist, könnte das schlimmste noch kommen.

Jonathan Payn & James Pendlebury (Zabala Südafrika)
Übersetzung: Holger Marcks

 

Anmerkungen:

  1. Township: Während der Apartheid Bezeichnung für die
    abgetrennten Wohngebiete von Afrikanern, Farbigen und Indern in Südafrika. Nach
    dem Ende der Apartheid konnten die sozialen Probleme in den Townships nur
    schleppend gelöst werden. Sie blieben deshalb zumeist eigene Ghettowelten.
  2. Consortium for Refugees und Migrants in South Africa
    (CoRMSA): eine Non-Profit-Organisation, die sich für die Rechte von
    Flüchtlingen und MigrantInnen in Südafrika einsetzt; www.cormsa.org.za
  3. Residents Association of Alexandra: Ableger des staatlich
    initiierten Forums für Gemeindepolitik (Community Policing Forum); versucht
    „eine aktive Partnerschaft zwischen Polizei und Gemeinde herzustellen“
  4. Anti-Privatisation-Forum (APF): Im Jahre 2000 gegründetes
    Netzwerk von GewerkschafterInnen, GeimeindeaktivistInnen, Studierenden und
    anderen Linken; www.apf.org.za
  5. Relativ große Oppositionsbewegung von BewohnerInnen der
    typischen armen Wellblechhütten in Südafrika; basisdemokratisch und
    multi-ethnisch ausgerichtet, lehnt es jegliche parteipolitische Einflussnahme ab
    und setzt auf Kämpfe direkt in den Gemeinden, um die Lage der armen
    Hüttenbewohner zu verbessern.
  6. Anti-Räumungs-Kampagne: Bewegung von armen und
    unterdrückten Gemeinden im Westkap, die sich u.a. gegen Räumungen, Wasser- und
    Elektrizitätssperrungen und Polizeigewalt zur Wehr setzt.
  7. Die Kommunistische Partei hat ein offizielles Bündnis mit
    dem ANC, einer schwarz-nationalistischen Befreiungsorganisation, die seit dem
    Ende der Apartheid die Regierung stellt. Das „revolutionäre“ des ANC besteht in
    der Etablierung eines nicht-rassistischen Kapitalismus.
  8. Ungefähr: „Stolz auf Südafrika“ bzw. „Stolz, Südafrikaner
    zu sein“.
  9. POWA: NGO, die Forschungen über gender-bezogene Gewalt in
    Südafrika anstellt und sich gegen an Frauen verübter Gewalt einsetzt.
  10. Zuma war 2005 angeklagt, eine Anti-Aids-Aktivistin
    vergewaltigt zu haben. Er berief sich darauf, dass sie in den Sexualverkehr
    indirekt eingewilligt habe (er könne schließlich einer Frau ansehen, ob sie Sex
    mit ihm haben wolle) und wurde unter dem Jubel seiner Anhänger freigesprochen.
  11. „Sogenannt“, weil die Angriffe ebenso Shangaan-,
    BaPedi- und Tshivenda-sprechende Leute traf, die ja indigene, sog. eingeborene
    SüdafrikanerInnen sind.

 

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar