Arbeiter/in werde endlich Egoist/in

Max Stirner (Pseudonym für Johann Caspar Schmidt) wurde am
25. Oktober 1806 in Bayreuth geboren, studierte in Berlin bei Hegel,
Schleiermacher u.a., war von 1839–44 als Lehrer tätig und starb verarmt am 25.
Juni 1856 in Berlin. Stirner war ein vir unius libri: Er schrieb — neben
einigen Aufsätzen, Korrespondenzen und Übersetzungen — nur ein einziges Buch: „Der Einzige und sein Eigentum“ (1), das 1844 erschien. Durch die Zensur wurde
es kurzzeitig beschlagnahmt, aber umgehend wieder frei gegeben, da man sich
nicht vorstellen konnten, dass jemand dieses Buch verstehen könne und somit
keine Gefahr bestehe. Es ist mit ca. 200.000 verkauften Exemplaren zwar das
meistverkaufte libertäre Buch in Deutschland, dennoch blieb es ein Geheimtipp.
Es wurde auch in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Stirner war und ist der radikalste Philosoph und wurde von
den Einen geliebt und auch überhöht, von den Anderen gehasst und bekämpft oder
schlicht ignoriert. Meistens wurde er aber falsch verstanden und
fehlinterpretiert, von Befürwortern und Gegnern — damals wie heute. (2)

Natürlich sah Karl Marx seine eigene Position unter den
Junghegelianern mit dem Werk von Stirner mehr als nur in Frage gestellt, und
verfasste eine für ihn typische Polemik gegen diesen. In dem Buch „Deutsche
Ideologie“ (3) schleuderte Marx seine Hasstiraden auch gegen die Philosophen
Feuerbach und Bruno Bauer, aber in 80 % des 500-seitigen Werkes denunziert er
Stirner als „Sankt Max“ und „dürftigen philosophischen Hohlschädel“. Marx
veröffentlichte seinen Anti-Stirner jedoch nicht, weil Stirner inzwischen — ein
Jahr vor den Ereignissen des März 1848, die in ihrem Scheitern den radikalen
philosophischen Diskussionen ein Ende setzten — bereits zur Unperson geworden
war und öffentliche Kritik taktisch unklug gewesen wäre.

Max Adler, ein radikaler österreicher Sozialdemokrat,
unternahm zum 100. Geburtstag Stirners (4) den Versuch einer Rehabilitation.
Natürlich ordnete er Stirner seinem geliebten Marx unter, aber dennoch
beleuchtete er viele Punkte, in dem Verhältnis Stirners zur Arbeiterbewegung,
z.B. diesen: Es „wird vollends klar, dass es wirklich nur der „Spuk“ war, den
er in dem ihm bekannten Kommunismus bekämpfte, und dass Stirner nur zum
subjektiven Ausdruck brachte, was Marx als objektive geschichtliche Potenz
aufzeigte: die Verdrängung des Kommunismus als idealer Forderung der
Entwicklung zum Menschentum durch den Kampf jenes egoistischen
Klasseninteresses, welches schon von sich aus das Menschentum besser
realisieren wird als alle Deklamation und Liebesdusselei — des proletarischen
Klasseninteresses. … Der Sinn des „Einzigen“ hebt sich erst ab von dem Sinne
eines anderen Grundbegriffes bei Stirner, von dem des „Spukes“, des „Geistes“,
als dessen Auflösung, Vernichtung der „Einzige“ erscheint. Der „Spuk“ — das ist
die Ideologie überhaupt, die Stirner mit einer bis dahin unerhörten Schärfe
psychologischer Analyse bekämpft.“

Eine Auseinandersetzung mit dem Werk von Max Stirner und
seinem „Einzigen“ — welcher eine radikale Abgrenzung gegen die egomanisch-
depressive Kreatur der heutigen Consumo- ergo-sum-Gesellschaft im Lande des ewigen
Werbelächelns darstellt — wird für jede/n anarchosyndikalistische/n
SozialrevolutionärIn mehr als nur bereichernd sein. Es wird uns allen ein gutes
Stück weiterhelfen, um unser proletarisches Weltkulturerbe anzutreten und
endlich den kapitalistischen, staatlichen, nationalen und religiösen
ErbschleicherInnen zu entreißen. ArbeiterInnen werdet endlich EgoistInnen …
und eignet euch eure Produktionsmittel an! Zumal Stirner die ArbeiterInnen
auffordert, sich selbst (!) zu organisieren, das Land und die Fabriken zu
übernehmen und die Arbeit, die Verteilung und den Konsum so zu gestalten wie
sie es selbst wünschen.

Thomas Bruns

Anmerkungen

  1. Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum. Reclam, 1991
  2. Ich hab’ Mein Sach’ auf Nichts gestellt — Texte zur
    Aktualität von Max Stirner.
    Karin Kramer Verlag, 1996
  3. Marx-Engels-Werkausgabe (MEW) Bd. 3, 1983
  4. Max Adler: Max Stirner und der moderne Sozialismus.
    Edition wilde Mischung/Verlag Monte Verita, 1992

 

Weitere Informationen: www.max-stirner-archiv-leipzig.de

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