Berliner Provinzposse

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In der letzten Direkten Aktion
hatten wir in einem kurzen Kommentar das Thema „Tariffähigkeit von
Gewerkschaften“ angerissen. Im Rahmen einer einstweiligen Verfügung
war der FAU Berlin der Boykottaufruf gegen die Neue Babylon Berlin
GmbH vorläufig untersagt worden, da es sich bei dem Arbeitskampf um
„einen rechtswidrigen Eingriff in (den) eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb“ handeln würde. Außerdem wurde die
Tariffähigkeit der FAU Berlin in Frage gestellt. Anstatt aber das
Verfahren bis zur Klärung dieses Sachverhaltes auszusetzen, wie es
nach § 97 Abs. 5 ArbGG vorgeschrieben ist, nahm das Gericht einfach
mal an, die FAU Berlin sei nicht tariffähig und begründet mit
dieser Annahme das Urteil.

Am 11. Dezember 2009 bekam die FAU
Berlin dann noch per einstweiliger Verfügung vom – gar nicht
zuständigen – Landgericht Berlin, ein Präsent der besonderen Art:
Im Wege der einstweiligen Verfügung, und zwar wegen „Dringlichkeit
ohne mündliche Verhandlung“, wurde angeordnet „es zu
unterlassen, wörtlich und/oder sinngemäß zu behaupten und/oder zu
verbreiten“ bei der Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union Berlin
(FAU) „handele es sich um eine Gewerkschaft bzw.
Basisgewerkschaft“. Zu dieser Verfügung gibt es vom Landgericht
keine Begründung!

In dem Antrag der Neue Babylon Berlin
GmbH für diese Verfügung finden sich allerdings einige interessante
Anhaltspunkte: Art. 9 Abs. 3 GG würde nicht für die FAU Berlin bzw.
deren Arbeitskampf gelten; die FAU Berlin bediene sich „des
Deckmantels der Gewerkschaftstätigkeit“; und sie „nimmt mit der
Behauptung, sie sei eine Gewerkschaft, eine Bedeutung und Seriosität
in Anspruch, die ihr nicht zukommt.“

Höchste Zeit also, den Begriff der
„Gewerkschaft“ einmal unter die Lupe zu nehmen. Im Gegensatz zu
anderen Ländern gibt es in Deutschland kein Gesetzbuch, in dem das
Arbeitsrecht niedergeschrieben ist. Bei uns gibt es nur ein
Sammelsurium an Paragrafen in diversen Gesetzen, die zusammen „das
Arbeitsrecht“ bilden. Dort, wo es keine Gesetze gibt, entscheiden
die Arbeitsgerichte, was „Recht“ ist.

Was
ist eigentlich eine Gewerkschaft?

Nach Wikipedia
ist eine Gewerkschaft ein Interessenverband von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern.
In
Deutschland ist die Rechtsgrundlage für Gewerkschaften die
„Koalitionsfreiheit“, die im Grundgesetz festgelegt ist. Konkrete
Aussagen zur rechtlichen Stellung von Gewerkschaften, aber auch zum
Streik, sind dort allerdings nicht zu finden. In Grundgesetz Artikel
9 Absatz 3 heißt es: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der
Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für
jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses
Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf
gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“

Damit
ist garantiert, dass eine solche Koalition existieren kann, ohne dass
es einer besonderen staatlichen Genehmigung bedarf. Die Koalition
genießt Autonomie und hat das Recht, ihre internen Verhältnisse
nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Dem Staat ist es damit
verboten ein „Gewerkschaftsstatut“ zu erlassen, das diesen Rahmen
einschränkt.

Gewerkschaften
und
„tariffähige Gewerkschaften“

Um aber die Beschäftigten und ihre
Koalitionen (Gewerkschaften) in die Bahnen der Tarifpolitik zu
nötigen, ihre Rechte gegenüber den Unternehmern zu beschneiden,
aber auch um Gefälligkeitstarifverträge mit Pseudo-Gewerkschaften
zu erschweren, hat das Bundesarbeitsgericht seit den 1950er Jahren
die „tariffähigen Gewerkschaften“ erfunden. Seitdem gibt es
daher in der BRD zwei Formen von Gewerkschaften, denen
unterschiedliche Rechte zugestanden werden.

Die normalen Gewerkschaften, wie auch
die„tariffähigen Gewerkschaften“ müssen gewisse Anforderungen
erfüllen. In einem der aktuellsten Urteile
(1 ABR 53/05) befindet das Bundesarbeitsgericht (BAG): „Eine
Arbeitnehmervereinigung ist eine Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen
Sinne nur, wenn sie sich als satzungsmäßige Aufgabe die Wahrnehmung
der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer
gesetzt hat und willens ist, Tarifverträge abzuschließen. Sie muss
frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher
Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als
verbindlich anerkennen.“

Um „tariffähig“ zu sein, muss eine
Arbeitnehmervereinigung (Gewerkschaft) zusätzliche Voraussetzungen
erfüllen. Dazu gehören Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen
Gegner und ausreichende organisatorische Leistungsfähigkeit.

Die
uns bekannten Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Thema
„Tariffähigkeit“, hatten in den vergangenen Jahrzehnten den
Hintergrund, dass Organisationen landes- oder bundesweite
Tarifzuständigkeiten für bestimmte Berufsgruppen oder Branchen
beansprucht hatten, ohne dort eine größere Zahl von Mitgliedern zu
haben und ohne sich jemals in einem Arbeitskampf befunden zu haben.

Bis
jetzt ist noch nie einer kämpfenden Gewerkschaft, die sich mitten in
einem Arbeitskonflikt befunden hat, die Tariffähigkeit, oder gar der
Name oder Status einer „Gewerkschaft“ aberkannt worden. Wenn die
einstweiligen Verfügungen bestätigt würden, wäre die FAU Berlin
die erste.

KC
(FAU VAB Frankfurt/M)

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