Kolumne Durruti

Zugegeben, es gibt Tage, an denen, und
Ereignisse, zu denen einem einfach nichts einfallen will. An just
einem solchen wurde mir just ein solches als Thema vorgeschlagen.
„Mach doch was zur Pin AG und der Demo gegen Mindestlohn.“ Ich
muss gestehen, bis dato in völliger Unwissenheit meine Tage verlebt
zu haben. Demo gegen Mindestlohn? Wo bitte gibt’s denn so was? Ach
so, da hängt Axel Springer mit drin. Dann ist ja wenigstens das
Weltbild wieder halbwegs im Einklang mit der Wirklichkeit. Dürfen
wir uns also in Zukunft auf allerlei widersinnige Unmutsbekundungen
auf öffentlichen Plätzen freuen? Bild-Reporter gegen freie
Meinungsäußerungen, Seite-Eins-Girls gegen Feminismus …
eigentlich ja unnötig, das erledigt sich in der Praxis schon von
selbst. Was also treibt die chronisch unterbezahlten MitarbeiterInnen
der Pin AG auf die Straße?

Wir schlagen die Bild auf:
„Mindestlohn? Dann gehen wir Pleite!“ Aha! „Klingt gut, macht
aber arbeitslos!“ Hört, hört, da wird ja seit Wochen Sperrfeuer
geschossen im konservativen Blätterwald. Wirtschaftsexperten fahren
dicke Geschütze auf, Halbtagsprophet Hans-Olaf Henkel sieht schon
„Stabilität und Wohlstand“ in Gefahr. Wessen Wohlstand jetzt
genau? Was kostet denn so eine Mehrheitsbeteiligung bei einem
Postzusteller? 550 Millionen, ach so, der Wohlstand also. So langsam
gibt das ein rundes Bild. Scheint fast so, als hätte Pin im letzten
Jahr ordentlich Verluste gemacht, dabei aber beständig andere kleine
Anbieter einkassiert. Jetzt fühlt man sich bedroht, man spricht von
Insolvenz, Springer will raus, die ersten tausend Mitarbeiter dürfen
schon die Koffer packen.

Scheint fast so, als habe der
diabolische Mindestlohn schon erste Opfer gefordert. Zumindest wenn
man dem ollen CEO der Pin, Günter Thiel, glauben darf. Also haben
wir ein Unternehmen, angetreten voll guten Mutes gegen die
übermächtige, finstere Bastion der deutschen Post, im Kampf um mehr
Wettbewerb auf dem Postzustellungsmarkt, mit dem Ziel, Postdienste
für uns alle komfortabler und günstiger zu machen? Ein hehres Ziel,
vereitelt von scheußlichen Dämonen, Ver.di, Lafontaine, der SPD,
denen nur daran gelegen ist, dem Frontkämpfer mit der grünen
Umhängetasche, im Felde unbesiegt, den Dolch in den Rücken zu
stoßen? Oder vielleicht doch nur ein beschissen geführtes
Unternehmen, das sich nur über Wasser halten kann, wenn es seine
Angestellten mit lächerlichen Löhnen abspeist, und das von Springer
dazu benutzt wird, eine politische Entscheidung zu erzwingen, wenn
sich schon nicht der große Reibach machen lässt?

Persönlich tendiere ich ja zur zweiten
Ansicht. Aber ich bin sicher voreingenommen, habe ein tiefes
Misstrauen gegen Menschen mit Titeln wie „CEO“, die Wörter wie
„Investments“ benutzen, und komme davon leider nicht mehr los.
Das ist sicher sehr unfair diesen Leuten gegenüber, denn schließlich
wollen sie ja immer nur unser Bestes. Die Pin-DemonstrantInnen
zumindest sollten das mittlerweile erkannt haben, hat ihnen der
freundliche Vorstand doch sogar gestattet, während der Arbeitszeit
und sogar bei Zahlung des zugegebenermaßen etwas kümmerlichen Lohns
auf der Straße für ihre Arbeitsplätze zu kämpfen. Und ganz
unerwartet erhält sogar der böse Feind, die Post AG, ein
menschliches Antlitz. Man sei grundsätzlich bereit, die entlassenen
Pins zu übernehmen, heißt es jetzt von dieser Seite. „Das ist
auch ein politisches Signal.“

Jetzt weiß ich endlich auch, was
soziale Marktwirtschaft bedeutet. Und sind wir doch mal ehrlich,
Steuerhinterziehung, manipulierte Betriebsratswahlen und eine
Grundvergütung von 5,86 Euro sind doch so schlimm gar nicht.
Hauptsache, es gibt genug Arbeitsplätze.

Christian Schmidt

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