Alphabet des anarchistischen Amateurs

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist, Regierungen sind
notwendig, denn es hat immer welche gegeben. Ich aber sage Euch: Wanzen hat es
auch immer gegeben; sind Wanzen deshalb notwendig? Weg mit allen Regierungen!
Eine Einrichtung, in deren Namen ganz versteckt das Wörtchen „Gier“ lauert, ist
unter allen Umständen höchst verdächtig.“

Über das Leben des Autors

Herbert Müller-Guttenbrunn wurde 1887 geboren, als Sohn des
antisemitischen und deutsch-nationalen Schriftstellers Adam Müller-Guttenbrunn.
Sein Bruder Roderich trottelte in den Fußstapfen seines Vaters weiter in die
NS-Zeit, als nationalsozialistischer Autor. Herbert brach aus dieser
Familientradition aus und wurde Anarchist und ein radikaler Individualist.
Zunächst diente er im 1. Weltkrieg als Offizier, danach hängte er seinen
Juristenjob an den Nagel und wurde ein selbstversorgender biologisch- dynamischer
Bauer. Dies führte zu wohlformulierten Äußerungen wie: „Viel rätselhafter als
alle okkultistischen Tatsachen war mir immer, dass ein Apfelbaum Äpfel und
gleich daneben ein Nussbaum aus derselben Erde Nüsse fabriziert.“ Er versorgte seine
Familie mit dem Selbstangebauten, war aber nicht zum Naturromantiker verkommen.
Er geißelte den von den „Blut und Boden“-Ideologen – gegen die widerständigen
ArbeiterInnen – überhöhten Bauernstand. Für ihn war der Bauer zum „Industriellen
des Bodens“ geworden, der mit Hilfe der Erde Waren für den Markt erzeugt. Zur
Strafe dafür ist er ebenso wie alle andern abhängig von Zöllen und Krisen. Er schindet
sein Vieh so, wie ihn der Staat schindet.“

Der NS-Ideologie stemmte er sich unerbittlich entgegen, denn
ihm war bewusst, dass die „Blut und Boden“-Ideologie nur eins hinterlassen
würde: Verbrannte Erde. Seine Utopie war ein herrschaftsloses Leben in sich
selbst versorgenden Kommunen. „Es ist längst nachgewiesen, dass der Mensch nur
56 Arbeitstage im Jahr benötigt, um mit Hilfe eines Stückchen mittelgroßen Grundes
seine Nahrung fürs ganze Jahr zu erzeugen.“ Die Tage, die ihm blieben, schrieb
er und gab von 1927 bis 1934 die Zeitschrift „Das Nebelhorn“ in Eigenregie heraus.

„Das Nebelhorn“

Die „Zeitschrift für die Interessen vorurteilslosen Menschentums”
war das Lebenswerk von Herbert Müller-Guttenbrunn. Sie war stark angelehnt an
die Zeitschrift „Die Fackel“ von Karl Kraus, den er sehr verehrte (er widmete
ihm die erste Ausgabe), weswegen er als „Affe von Kraus“ diffamiert wurde.
Seine brillanten, teils derben Aphorismen sind ein Meisterwerk der Sprachkunst.
Sein Zorn richtete sich gegen jede Art von Kadavergehorsam – gegen Krieg, Staat,
Kapitalismus, Nationalismus, Kirche, Staatssozialismus und die sittliche Moral.
Er wurde zu einer empfindlichen Geldstrafe wegen „Beleidigung einer gesetzlich
anerkannten Kirche“ und zu einer dreimonatigen Haftstrafe wegen „öffentlicher
Herabwürdigung von Anordnungen der Regierung“ verurteilt. Darauf hin stellte er
„Das Nebelhorn“ ein, wegen „Einmischung der Justiz“. „Das Nebelhorn“ hatte eine
Auflage von ca. 300 Stück und fand nach Meinung des Machers vielleicht 2.000
LeserInnen, den damaligen Verhältnissen entsprechend war dies nicht
unrealistisch.

Herbert Müller-Guttenbrunn schrieb vehement gegen den
Ungeist seiner Zeit an: „Die Dummheit ist eine Naturkraft. Deshalb richtet die
Intelligenz, die eine Naturschwäche ist, so wenig gegen sie aus.” Und verortete
das Ebenbild Gottes folgendermaßen: „Ob die Erde nicht doch bloß so eine Art
Deportationsinsel für die Idioten des ganzen Kosmos ist?”

Über Parteien meinte er nur: „Politische Parteien gleichen
den Hunderassen: Sobald sie in Mode kommen degenerieren sie.” Den Nationalsozialismus
geißelte er mit den Worten: „Die Hitler-Revolution war die erste Revolution,
die nicht gegen, sondern für die Ideale der Polizei gekämpft hat.“

Hintergründig meinte er über die Frauen: „Die Frauen sind
schon allein deshalb gefährlich, weil sie einem sinnlose Dinge schenken, z. B.
das Leben.“

Über die katholische Familienglückstheorie urteilte er
sarkastisch: „Es gibt wenig so Komisches wie Zölibatäre, die ihren Mitmenschen
empfehlen, Familien zu gründen und Kinder zu bekommen.“ Gegen den Kapitalismus
führte er zu Felde: „Erwägung des Wirtschaftsliberalismus: Wenn Arbeiter zu
Hungerlöhnen arbeiten, so ist das ihr freier Wille. Niemand zwingt sie dazu und
sie sind selbst schuld daran, wenn sie nicht verhungern, sondern bloß hungern.“

Und er rief zur Kropotkin’schen Eroberung des Brotes auf,
als er schrieb: „Brot ist das am meisten verfälschte, vergiftete und entwertete
menschliche Nahrungsmittel, dessen Verkäuflichwerden der Anfang allen Jammers
war; denn dadurch ging die Unentbehrlichkeit des Brotes auf das Geld über und
die Falschheit des Geldes auf das Brot.“

Er präzisierte seine freiheitlichen Vorstellungen: „Die
Freiheit ist adelig und man darf ihr das Wörtchen „von“ nicht vorenthalten. Erst
wenn man weiß, von was einer frei ist, kann man beurteilen, ob er wirklich frei
ist. Das Wort „Freiheit“ ohne „von“, also sozusagen die bürgerliche Freiheit,
ist schlechthin sinnlos.“

Wer nun von Euch „Stoffwechslern“ erfahren will, was Herbert
Müller-Guttenbrunn noch so niederschrieb über die Vorhaut Christi,
Frauenemanzipation, Bürgerseele & Psychoanalyse, Autos, Todesstrafe und den
Cunnilingus, sollte sich umgehend dieses Meisterwerk der Polemik zulegen.

Thomas Bruns

Anmerkungen

Herbert Müller-Guttenbrunn: Alphabet des anarchistischen
Amateurs
. Herausgegeben von Beatrix Müller-Kampel, 365 Seiten, Matthes &
Seitz, Berlin, 2007. 28,90 Euro.

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