Konsumbeat

„… Ja, Selbstbedienung. Man weiß Bescheid, kennt die fürs
Auge angewärmten Farben, die Landschaft aus Blau- und Weißkarton, den immer
gleichen Frühling, wohin die Reise auch geht mit jenem von Produktkaskaden
herzweichgespülten Gefühl. Ballistische Glanzleistung geradezu die an einem
Lineal aus Licht entlanggezogenen Gänge, diese lineare Welt mit ihrem
Endlosband abgepackter Ereignisse: Zum schnellen Abfüllen griffbereite
Bedeutungssicherheit, passend zur Erfahrungsgröße eine Einkaufswagens, den der
Verstand als Bekenntnis vor sich herschiebt..“ (aus: Überlebungen, in Burnicki:
Zahnweiß)

Mark Twain hat einmal gesagt „Der Unterschied zwischen dem
richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen
dem Blitz und einem Glühwürmchen“. Ralf Burnicki gehört mit seinem neuesten
Lyrikband mit Sicherheit nicht zur Kategorie „Glühwürmchen“ – ganz im
Gegenteil.

In gewohnter sprachlicher Opulenz, gepaart mit einem
unbestechlichen Blick und politischem Scharfsinn nimmt uns der Bielefelder Autor
mit ›Zahnweiß‹ auf eine neue Reise in die Abgründe des alltäglichen Seins. Mit
vier längeren Prosagedichten greift er hier in abgewandelter Form die Thematik
früherer Arbeiten wieder auf: Die Entfremdung des modernen städtischen Menschen,
der, in roboterhafte Zwänge eingepfercht, das tut, was alle anderen um ihn herum
auch tun. Dabei geht es vor allem um eins: Konsum. Oder wie es der Media Markt
ganz unverblümt in seiner Werbung auf den Punkt bringt: „Kaufen, marsch, marsch!“

Aus der Auseinandersetzung mit dem beständigen Konsum um des
Konsumes willen, der – wenn überhaupt – nur kurzfristigen Ersatzbefriedigungen
statt der Erfüllung tatsächlicher Wünsche und Bedürfnisse entspricht, ist
Burnickis kraftvolle Kaufhauspoetry in „Zahnweiß“ entstanden. Entlarvenden
hohlen Zitaten aus der Konsumwelt – „Alle werden glücklich“, setzt der promovierte
Philosoph seine ebenso entlarvenden, aber umso gehaltvolleren Gedankenströme und
Assoziationen entgegen. Wortgewaltig, kraftvoll und überaus lebendig führt uns
Burnicki durch die schnurgeraden Supermarktgänge, in die reizüberfluteten Konsumtempel
und in die nächtlichleeren Straßen der uniformen Innenstädte nach Ladenschluss.

Was den mehrfach prämierten Autor Burnicki auszeichnet (Er
wurde u.a. zum ›Erben Orwells‹ ausgelobt und ist Preisträger der
Nationalbibliothek des deutschsprachigen Gedichts) ist eine intelligente
Verknüpfung von sprachlicher Virtuosität mit politischem Inhalt. Wer glaubte,
das politische Gedicht sei mit Erich Mühsam, Bertolt Brecht oder Erich Fried
ausgestorben, wird hier auf höchst lebendige Weise eines Besseren belehrt. Wie
bereits u.a. in seinem Gemeinschaftswerk mit Michael Halfbrodt ›Die Wirklichkeit
zerreißen wie einen misslungenen Schnappschuss‹ (2000) oder in dem 2003
entstandenen Stadtpoetry-Band ›Überhitzung‹, tritt Burnicki hier erneut den
Beweis an, dass politisch anspruchsvolle Lyrik kein Schnee von gestern sein muss.
Vielmehr zeigt der engagierte Autor mit seinen Arbeiten, dass anarchistische
Literatur im besten Sinn nicht von plakativen Parolen geprägt ist. Stattdessen
bietet sie einen zutiefst entlarvenden Blick auf die scheinbar „beste aller
möglichen Welten“, die uns Tag für Tag prägt und in ihren „Sachzwängen“
gefangen hält. Statt mit erhobenem Zeigefinger kommt Burnicki mit Selbstironie
und augenzwinkerndem Humor daher – und ermuntert so zum selbstbestimmten Erleben,
Denken und Handeln. ›Zahnweiß‹ bietet so Lesen als Sabotage im besten Sinne,
und das keineswegs nur für Lyrikfreunde.

Mona Grosche

Anmerkungen

Ralf Burnicki: Zahnweiß. Kaufhaus- Poetry, Verlag Edition AV
2007, ISBN: 978- 3-936049-78-7, Taschenbuch, 44 S., 9,80 Euro.
Als zusätzliche ›Gimmicks‹ enthält der Lyrikband neben
Bildern und zahlreichen Zitaten zum Verhältnis Kapitalismus – Konsum –
Arbeitswelt auch ein Interview mit der Presseabteilung der
›Real‹-Supermarktkette zur Verbindung von Konsum und Militärmentalität.

Literatur Ralf Burnicki

Zwei Texte aus „Zahnweiß“ wurden in der DA
vorveröffentlicht:
„Time Over“ in DA 173
(Januar/Februar 2006)

„Absahnen“ in DA 181 (Mai/Juni
2007)

Weitere Publikationen des Autors:

  • Auf der Suche nach einem Namen für die Luft im Mund,
    Gedichte
    (1994)
  • StadtSchluchten, Gedichte (1996, Edition Blackbox)
  • Die Wirklichkeit zerreißen wie einen mißlungenen
    Schnappschuß, libertäre Poesie
    (2000 – gemeinsam mit Michael Halfbrodt).
  • Überhitzung, City Poetry (2003, Edition Blackbox)
  • Die Straßenreiniger von Teheran, Gedichte aus dem Iran,
    zweisprachig (2003 – gemeinsam mit Maryam Sharif).

 

Weitere Informationen unter: www.edition-av.de und www.spechtart.de

 

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