Der große Bruder schaut dich an

Datenschutz und ständige
Überwachung sind Themen, die mit dem neuen Vorstoß Schäubles in
Sachen Vorratsdatenspeicherung in aller Munde sind. Kein Zweifel: in
Deutschland und global wird Überwachung zum großen Thema.

Was staatlicherseits – zumindest
offiziell – neu ist, ist in der Berufswelt längst kein Thema mehr.
Dass ArbeiterInnen überwacht werden, scheint selbstverständlich.
Denn diese haben ihre Zeit und Arbeitskraft ja verkauft und, so
argumentiert die Klasse der „Arbeit-Gebenden“, da sei es nur
recht und billig, zu kontrollieren, was man da gekauft hätte.
Schließlich kauft niemand gerne die Katze im Sack.

Diese „Qualitätskontrolle“ wird in
Callcentern durch das sog. „Silent Monitoring“ durchgeführt.
Soll heißen: während die Callcenter-AgentInnen am Telefon sitzen,
können sie sich nie sicher sein – es sei denn, der Kunde oder
Geschäftspartner am Telefon hat vorher abgelehnt –, ob ihr
Gespräch nicht mitgeschnitten und „evaluiert“ wird. Das ist der
Hintergrund der Tonbandansage, die sicher jede Person schon mal
gehört hat, wenn sie eine Service-Hotline angerufen hat: „Das
Gespräch wird zu Schulungszwecken mitgeschnitten. Wenn Sie damit
nicht einverstanden sind, drücken Sie bitte die Eins“, oder
ähnliches. Alle AnruferInnnen oder Angerufenen sind also gut
beraten, diese Form des Abhörens zu verweigern. Dem/der TelefonistIn
wird so eine Form der Überwachung und sich selbst die Abschätzung
der Kundenbedürfnisse erspart.

„Beim Schraubenhersteller zieht der
Qualitätsprüfer eine Schachtel Schrauben aus dem Regal und schaut,
wer sie wann gemacht hat und ob sie in Ordnung sind. Unsere Kunden
[die Firmen, die das Callcenter in Anspruch nehmen; Anm. d.A.] müssen
halt die Gespräche mithören, um die Qualität zu überprüfen“,
so sinngemäß die Argumentation der Geschäftsführung des
Callcenters D+S während einer Betriebsversammlung in Münster. Der
Betriebsrat hatte zuvor, ohne die Belegschaft zu fragen, einer
Betriebsvereinbarung zum Thema „Silent Monitoring“ zugestimmt.
Das mag in der Branche, wie auch die Reaktionen aus der Belegschaft
zeigen, eher normal sein: „Soll das heißen, hier wurde bisher
nicht mitgehört?“ wunderten sich KollegInnen mit Erfahrung aus
anderen Callcentern. Was nichts anderes heißt, als dass das in der
Branche ganz normal ist und man von nichts anderem als totaler
Kontrolle ausgehen kann. „Neulinge“ im Gewerbe dagegen
echauffierten sich durchaus über den „Chef als Big Brother“. Nun
wird die Kundenberaterin im Callcenter nicht unbedingt den nächsten
wilden Streik mit dem Gesprächspartner verabreden und erst recht
nicht den Umsturz des Staates. Umfassende Kontrolle heißt aber auch
im Zweifelsfalle: Kontrolle der vollkommenen Loyalität, Kontrolle
über das individuelle Gesprächsverhalten, und wenn es falsch läuft:
Nachschulungen, Entlassung aus dem Projekt oder vollkommene
Entlassung.

Überwachen und Korrigieren

„Silent Monitoring“ im Callcenter
kann zweierlei heißen: die Kontrolle des Auftraggebers oder aber die
Kontrolle durch Vorgesetzte. Wenn der Auftraggeber – etwa ein
großer Telekommunikations- oder Stromkonzern – mithört, ist das
oft nicht mal im Interesse des „Arbeitgebers“, der möchte
genauso wenig kontrolliert werden wie die Agentin am Telefon. Gar
nicht so komisch ist, dass diese „Arbeitgeber“ dieser
Argumentation nicht mehr folgen, wenn es darum geht, dass sie selber
gerne mithören würden. Betriebsvereinbarungen, wenn es diese denn
überhaupt gibt, mögen da noch so kulant sein, jede Person kann sich
selber ausmalen, was es für den einzelnen Callcenter-Agenten heißt,
diese Überwachung zu verweigern. Im Zweifelsfall sitzen alle
Angestellten des Betriebs stets auf glühenden Kohlen in der
Erwartung, dass nicht nur sie es sind, die das Gespräch hören. Das
Prinzip ist das selbe wie das des Bentham’schen Panoptikons, wie
Michel Foucault es in „Überwachen und Strafen“ beschrieben hat:
es gibt immer die Möglichkeit, das jemand kontrolliert, was du sagst
oder machst. Ob wirklich kontrolliert wird oder nicht, ist
nebensächlich. Die alltägliche Möglichkeit der Kontrolle reicht
für die Disziplinierung. Selbst wenn dann ein nicht perfektes
Telefongespräch nicht abgestraft, sondern nur „verbessert“ wird,
ist das ein Eingriff in die persönliche Sphäre.

Callcenter und das System des „Silent
Monitoring“ sind Experimentierfelder für neoliberale Politik. Wer
glaubt, man könne sein Gesprächsverhalten ändern, wenn das Headset
abgelegt ist, hat sich geschnitten: wer im Callcenter lächelt,
belügt nicht nur den Kunden, sondern auch sich selbst. Die
Mentalität, VerkäuferIn oder KundenberaterIn zu sein, überträgt
sich in den eigenen Alltag – und damit auch in den Umgang mit dem
Chef.

Betriebsrat macht mit

Wie gesagt, diese Methode ist in
Callcentern so üblich, dass sich niemand mehr darüber empört. Der
Betriebsrat des besagten Callcenters in Münster argumentierte in
seiner Zeitung, die Betriebsvereinbarung zum Silent Monitoring sei
notwendig, damit das Abhören in der Arbeitszeit nicht illegal laufen
würde. Hier schließt sich der Kreis zu den Plänen Schäubles: wir
müssen die stetige Überwachung akzeptieren, damit wir nicht vom
Terrorismus bedroht werden. Im Callcenter heißt das: wir müssen die
Überwachung akzeptieren, damit wir nicht von der Arbeitslosigkeit
bedroht werden. Dass die Überwachung am Arbeitsplatz als „normal“
empfunden wird, hilft der Politik bei der Durchsetzung ihrer
Interessen. Im Endeffekt müssen Staat und Kapital nicht mehr
überwachen. Die Möglichkeit genügt, damit die Arbeitenden kuschen.
Später werden sie sagen, dass das alles ja freiwillig und
demokratisch abgestimmt war. Da trauen wir uns dann längst nicht
mehr, zu widersprechen. Es könnte ja jemand hören…

bewi (FAU Münster)

Mitmachen: Beiträge für diese Rubrik,
insbesondere Infos zu Überwachung am Arbeitsplatz, bitte an
da-bruder@fau.org. PGP/GPG-Key auf Anfrage.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar