Wortarbeit in der Krise

zeitungen.jpgDie
Medienbranche ist radikalen Umbrüchen unterworfen. In besonderem
Maße betrifft dies die Printmedien,
die
seit einem Jahrzehnt mit einer strukturellen Krise zu kämpfen haben,
deren Ausgang noch ungewiss ist.
Sichtbares
Krisensymptom ist der Absturz der verkauften Auflage deutscher
Tageszeitungen von 28,5 Mio. im Jahr 2000 auf derzeit etwa 22,5 Mio.
Die
rasante Beschleunigung der Informations- und Kommunikationsströme
durch das Internet haben die Medienunternehmen ebenso in Bedrängnis
gebracht wie die Einbrüche der Anzeigeneinnahmen infolge der
verschiedenen kleinen und großen Wirtschaftskrisen des letzten
Jahrzehnts. Es würde den elementaren Grundsätzen des Kapitalismus
widersprechen, wenn dies ohne Auswirkungen auf die Beschäftigten
bliebe.
Die
Medienunternehmen reichen sowohl die Gewinnrückgänge in Form
sinkender Löhne als auch die unternehmerischen Risiken in Form
prekärer Beschäftigungsverhältnisse konsequent an die
WortarbeiterInnen weiter.

Prekarisierung
und Lohndumping

Dass
sich dies keineswegs auf typisch kapitalistisch strukturierte
Medienunternehmen beschränkt, verdeutlicht der jüngste Konflikt bei
der
taz.
Mitte September waren im Vorfeld der
taz-Genossenschaftsversammlung
14 AuslandskorrespondentInnen in einen mehrtägigen Streik getreten,
nachdem die
taz
ihre alten Verträge mit
Wirkung
zum 31. Oktober gekündigt hatte. Gleichzeitig wurden ihnen neue
Verträge vorgelegt, die eine Weiterbeschäftigung zu wesentlich
schlechteren Konditionen vorsehen. Bislang waren sie mit einem
Pauschalvertrag an die Zeitung gebunden, der ihnen ein
im
Rahmen des Niedriglohnkosmos der
taz
vergleichsweise hohes

Mindesteinkommen garantierte.

Doch sind die 14 PauschalistInnen nur die eine Seite der Medaille.
Auf der anderen Seite steht ein Netz von 18 prekarisierten
AuslandskorrespondentInnen, deren Verträge bislang keinen relevanten
Pauschalanteil vorsehen. Das wird sich nun ändern. Denn durch eine
Umstrukturierung sollen demnächst alle AuslandsredakteurInnen eine
monatliche Einheitspauschale von 735 Euro bekommen, für die sie
jeweils 500 Zeilen abzuliefern haben. Jede Zeile, die über die
Pauschale hinausgeht, wird zusätzlich vergütet. Für die 14
PauschalistInnen würde dies Einkommensverluste von bis zu 30% mit
sich bringen, während sich der Verdienst der übrigen 18
AuslandskorrespondentInnen leicht erhöhen würde.

Der
Schachzug, auf der einen Seite zu kürzen, um die andere Seite mit
der Schaffung eines Minimums an Einkommenssicherheit zu locken,
erwies sich als „erfolgreich“. So scheiterte der Versuch der
PauschalistInnen, ihr Anliegen auf der der
taz-Genossenschaftsversammlung
zur Abstimmung zu bringen. Diese entzog sich kurzerhand ihrer
Verantwortung, indem sie sich für nicht zuständig erklärte und die
Verantwortung zurück an die Redaktion gab. Der „Erfolg“ der
Chefetage ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sich die
verschiedenen Belegschaftsteile gegeneinander ausspielen ließen und
eine redaktionsweite Solidarisierung mit den von den Kürzungen
betroffenen PauschalistInnen verhindert wurde, und das obwohl die
Verschlechterung der Löhne und Arbeitsbedingungen bei der
taz
seit Jahren schon im Gange ist. Nachdem
Festangestellte
durch PauschalistInnen ersetzt wurden, folgte ein Dumping der
Pauschalen, die heute für die InlandskorrespondentInnen bei gerade
noch 800 Euro für 700 Zeilen liegen
.
Die vom DGB definierte Grenze des Armutslohns liegt übrigens bei
1.442 Euro.

Zweiklassenjournalismus

Die
taz
ist fraglos eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen
Medienlandschaft. Während andere Zeitungen mit einem
Auflagenrückgang zu kämpfen haben, ist die Auflage der
taz
relativ stabil. Mehr noch: Ausgerechnet auf dem Höhepunkt einer
schweren Medienkrise schreibt die
taz
erstmals seit anderthalb Jahrzehnten wieder schwarze Zahlen
(Jahresergebnis: 314.739 Euro). Dass sie dennoch weiter an der
Lohnschraube dreht, ist eine bedenkliche Entwicklung, hinter der
dezidiert gewinnorientierte Medienunternehmen jedoch selbstredend
nicht zurückstehen. Bereits auf den ersten großen Kriseneinbruch im
Jahr 2001 reagierten diese mit
Einsparungen
und Personalabbau. Seitdem gibt es einen unverkennbaren Trend zu
Prekarisierung, denn auf den Abbau fester Redaktionsstellen folgte
die Ausweitung der freien Mitarbeit. Nach aktuellen Schätzungen des
Deutschen
Journalisten-Verbandes (DJV) beläuft sich die Zahl der
JournalistInnen in der Bundesrepublik auf knapp 73.000. Etwa 25.000
davon, also mehr als ein Drittel, sind freie JournalistInnen. In
einigen Wochen- und Monatszeitschriften liegt der Anteil der von
Freien verfassten Artikel mittlerweile bei über 50%.

Es
gibt demnach eine große Nachfrage nach freier Mitarbeit, allerdings
gibt es gleichzeitig auch ein Überangebot an freier Arbeitskraft.
Eine solche Konstellation entfacht auf Arbeitsmärkten in aller Regel
eine Dynamik gegenseitiger Konkurrenz, von der allein die Unternehmen
profitieren. Der Zwang, die eigene Arbeitskraft „unter Wert“ zu
verkaufen, führt zu einem Lohnverfall, der wiederum zur Folge hat,
dass immer

weniger Freie von ihrer journalistischen Arbeit allein leben können.
Auch können sie kaum noch auf „bruchlose“ Karrieren oder
Festanstellungen hoffen. In Zeiten ökonomischer Prosperität mag man
sich damit abfinden oder sich gar im Mythos der „digitalen Bohème“
einrichten. In der Krise aber wird deutlich, dass die
„Flexibilisierung“ vor allem eines ist, nämlich die
Abwälzung
unternehmerischen Risikos auf die Beschäftigten
.

So
hat eine

Studie des DJV ergeben, dass freie Mitarbeiter wesentlich stärker
von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise betroffen sind als
Festangestellte. Demnach hat ein Drittel der Freien einen
signifikanten Auftragseinbruch erlitten, auch der Anteil der Freien,
der eine teils erhebliche Kürzung der Honorare hinzunehmen hatte,
liegt bei etwa einem Drittel. Überdurchschnittlich stark betroffen
sind freie MitarbeiterInnen von Tageszeitungen sowie generell jene,
die auch vor der Krise schon kaum über die Runden kamen. Durch die
Wirtschaftskrise beschleunigt sich der Polarisierungsprozess, der
auch den Hintergrund des
taz-Konflikts
lieferte:
Scheinbar
privilegierte Festangestellte gegen unterprivilegierte Freie,
Alteingesessene gegen Nachrücker, Freie gegen Freie, alle gegen
alle, teile und herrsche.

Betäubungsstrategien

Eine
Kommentatorin im
Freitag
kritisierte jüngst die streikenden
taz-PauschalistInnen:
Eine
soziale Gerechtigkeit, die ins eigene Portemonnaie greift, scheint
den Betroffenen offenbar doch zu teuer.“ Dieser Satz verdeutlicht
das Problem, das die
derzeitige
Zusammensetzung der WortarbeiterInnenklasse

mit sich bringt. Statt das Lohndumping der
taz
zu kritisieren, übt sich eine prekarisierte Nachrückerin in
Schadenfreude darüber, dass es nun auch ein paar Alteingesessenen an
den Kragen geht. Diese verkürzte Logik macht es den
Unternehmern
leicht. Die verschiedenen Segmente der Klasse lassen sich fast
beliebig gegeneinander ausspielen. Und obwohl diese Strategie leicht
durchschaubar ist, so ist sie doch effektiv.

Davon
zeugen auch die laufenden Tarifverhandlungen in der Zeitungsbranche:
Der Kündigung des Gehaltstarifvertrags durch den DJV ließ der
Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) im Juni eine
Kündigung des Manteltarifvertrags folgen. Während der DJV mit der
Forderung nach einer Erhöhung der Löhne und Honorare für die etwa
14.000 festen TageszeitungsredakteurInnen in die Verhandlungen ging,
lautete die klare Ansage des BDZV, dass man zu einer „
sinnvollen
Korrektur der Unternehmensbelastungen“ kommen müsse.
Der
gewerkschaftlichen Forderung nach Lohnerhöhungen könne nur
entsprochen werden, wenn es gleichzeitig zu einer Absenkung der im
Manteltarifvertrag festgelegten Leistungen komme, ohne näher ins
Detail zu gehen, welche Leistungen genau zu kürzen wären.

Klar
ist lediglich, zu wessen Lasten die Schacherei gehen soll.
BDZV-Präsident
Helmut
Heinen macht klar, dass man vor allem „günstigere
Einsteiger-Gehälter“ brauche, „damit wir auch jüngere
Journalisten dauerhaft übernehmen können.“ Ob die Gewerkschaften
sich durch diesen rührenden Anfall unternehmerischer Gutmütigkeit
einlullen lassen, bleibt abzuwarten. Denn auch der Sinn dieser
Unternehmer-Offensive liegt auf der Hand. Es geht darum, das
Lohnniveau junger JournalistInnen und damit über kurz oder lang das
Lohnniveau der WortarbeiterInnen insgesamt abzusenken. Dass diese
Maßnahme flankiert wird mit einer möglichen Lohnerhöhung für
etablierte RedakteurInnen, dient offensichtlich dazu, den
Gewerkschaften Gesprächsbereitschaft zu entlocken.

Verschmelzung
der Atome

Der
BDZV richtet seine Kanonen auf Spatzen – das ist aus
gewerkschaftlicher Sicht das eigentlich Interessante. Die Unternehmer
fürchten die offene Auseinandersetzung mit den WortarbeiterInnen.
Denn auch wenn es sich um eine Branche handelt, deren Arbeiterschaft
in hohem Maße atomisiert ist und in gegenseitiger Konkurrenz
aufgeht, so ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad doch
ausgesprochen hoch. Allein der DJV hat als größte
Journalistengewerkschaft 38.000 Mitglieder und die zu ver.di
gehörende Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju)
weitere 20.000 – bei einer Gesamtzahl von 73.000 JournalistInnen.
Einem umfassenden und entschlossen geführten Arbeitskampf hätten
die kriselnden Verleger derzeit nur wenig entgegenzusetzen.

Die
großen Zeitungsstreiks in der Bundesrepublik liegen mittlerweile
einige Jahrzehnte zurück. So wurden in den 1970ern intensive Kämpfe
geführt und auch gewonnen. Die erkämpften Erfolge verdankten sich
dabei einer Strategie, die konsequent auf die gegenseitige
Solidarisierung von
DruckerInnen,
SetzerInnen, RedakteurInnen etc. setzte.
Zuletzt
erkämpften 1990 15.000 Streikende in über 100 Redaktionen die
35-Stunden-Woche und einen Ausbildungstarifvertrag für
VolontärInnen, der von den Verlegern jahrzehntelang verweigert
worden war.

Die
Bedingungen mögen sich seit den 1990ern geändert haben. Die
wesentliche Lehre dieser Beispiele gilt jedoch unverändert: Wenn es
gelingt, den Kampf auf eine breite Basis zu stellen, ist es jederzeit
möglich, die Verleger in die Knie zu zwingen. Diese Solidarisierung
zwischen den verschiedenen Segmenten der Arbeiterschaft herzustellen,
ist die große Herausforderung der Gewerkschaftsbewegung. Ein erster
Schritt muss darin bestehen, die von den Unternehmern forcierten
Spaltungen und Polarisierungen zu überwinden. Denn ein Angriff auf
eine/n ist und bleibt ein Angriff auf alle – ganz gleich, ob er
sich gegen Alteingesessene oder NachrückerInnen richtet.

Christian
Krueger

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