Kolumne Durruti

S1 Richtung
Wannsee. Ein Typ liest BILD-Zeitung. Schlagzeile: „Das wird man ja
wohl noch sagen dürfen!“ Darunter: BILD-Girl Jessica aus Bautzen
mit gepiercten Nippeln, die starke Männer mag. Gegenüber liest eine
Omi ebenfalls BILD, einen Sadomaso-Bericht, über Jessica’s
Schwester (?), die in Ketten an einem Stahlkreuz hängt. Neben der
Omi hockt ihre ca. fünfjährige Enkelin und fragt: „Werde ich auch
mal so schön wie die Frau in der Zeitung?“ Da sie beide sehen
kann, ist unklar, ob sie BILD-Girl oder Sklavin meint. „Wenn du
immer schön artig bist“, antwortet Omi. „Und komm ich dann auch
in die Zeitung?“ „Wenn du dich anstrengst.“ Kein erfundener
Dialog, ebenso wenig, wie mein spontaner Gedanke, ob am Islamismus
wirklich alles schlecht … Scheißgedanke. Will man nicht denken.
Aber man darf es. Sogar sagen und schreiben darf man es. Umso
verstörender die Schlagzeile: „Das wird man ja wohl noch sagen
dürfen!“ Ein Satz, den man sonst immer hört, wenn sich deutsche
Männer in deutschen Kneipen über Außenpolitik verbreiten. Denn, da
der durchschnittliche Kneipengänger weder weiß wo Somalia liegt,
noch wer in Myanmar regiert, meint „Außenpolitik“ in der Regel:
Israel. Da ist hierzulande jeder Spezialist. Und dass die Israelis
mit den Arabs dasselbe machen, wie „wir damals mit denen“ ist
tief verwurzeltes Volkswissen, weshalb man das „ja wohl noch sagen
darf!“ So erstaunt es wenig, dass diese BILD-Schlagzeile innerhalb
weniger Tage 18 Millionen Unterstützer für eine mögliche neue
Rechtspartei von Thilo Sarrazin sammeln konnte. Endlich. In Sachen
„schicke, neue Rechtspartei“ stinkt Deutschland ja bislang ganz
schön ab. Holland hat seinen coolen Wilders, Österreich hatte
seinen sexy Haider, nur wir müssen uns weiter mit den bösen Onkels
von der NPD begnügen. Time for Change – danke BILD! Aber was
wollen diese 18 Millionen? Bei Stichproben (in der Kneipe gegenüber)
mit der Tatsache konfrontiert, dass Sarrazins Zahlen und Statistiken
weitgehend falsch sind, antworteten meine Probanten: „Ist trotzdem
gut, dass es mal einer sagt, und irgendwie hat er ja auch recht.“
Man mag die statistische Relevanz meiner Umfrage bezweifeln, aber mit
„irgendwie“, „trotzdem“ und „das wird man ja wohl noch …“
ist das ideologische Gerüst der neuen Nationalkonservativen
trefflich skizziert. Es geht eben nicht um Statistiken, sondern um
völkische Befindlichkeiten, wie damals, als man bei Roland Koch noch
„irgendwie“ gegen Ausländer unterschreiben konnte. Insofern ist
es auch egal, dass ein gesichtsgelähmter Professor im
viagragestützten Omnipotenzrausch nicht wirklich als Führer einer
coolen neuen Rechtspartei taugt. Hauptsache „irgendwie“ sagt mal
einer, „was man ja wohl noch …“ Macht ja nix. Muss eine
Demokratie aushalten. Klar, am Anfang gibt’s international
vielleicht Stunk, aber dann gewöhnen sich alle – wie bei Haider.
Dessen Partei subventioniert in Kärnten inzwischen den Preis von
Trachtenjacken, um Anhänger und Gegner leichter erkennen zu können,
was aber eigentlich Quatsch ist, reden hier doch selbst die Gegner
zärtlich von „der Jörg“, der ja „irgendwie“ vor allem
„einer von uns“ war. Immerhin eine aufrechte Antifaschistin gibt
es doch in Kärnten: Eine unscheinbare Straßenkurve kurz hinter
Klagenfurt auf dem Weg zum Loiblpass. Hätten wir so eine auch bei
uns und würden es dann noch schaffen Thilo Sarrazin, BILD-Chef
Diekmann und einen Haufen Koks ins selbe Auto zu kriegen, dann ginge
das Stammtischgeschwätz zwar trotzdem weiter, aber ich müsste in
Zukunft vielleicht keine hässlichen Sharia-Gedanken mehr haben. Und
das … wird man ja wohl noch sagen dürfen!

Markus Liske

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