Griechisch für Anfänger

Lars Röhm von der FAU Berlin unterrichtet das Publikum in deutschem Gewerkschaftsrecht (Fotos: Babylonia)

Ein Beitrag zum Aufbau einer gesellschaftlichen Gegenmacht von unten,
jenseits von Aufständen, sollte das „Festival der direkten
Demokratie“ sein, das Anfang September in Thessaloniki stattfand.
Auf Einladung u.a. der „Antiautoritären Bewegung“ (AK) aus der
nordgriechischen Metropole sollten über drei Tage hinweg Abgesandte
diverser Bewegungen aus aller Welt unterschiedliche Konzepte und
Kampferfahrungen diskutieren.

In Anbetracht der ökonomischen Krise und des Versuchs der
Herrschenden, die eigene Haut auf Kosten des Rests der Gesellschaft
zu retten – wenn nötig unter Einsatz staatlicher Gewalt –, ließe
sich annehmen, dass solch ein Kongress von Menschen und erregten
Diskussionen nur so summen müsste. Dies gilt umso mehr in einem
Land, das mittlerweile durch den sozialen Ausschluss ganzer
Bevölkerungsschichten gekennzeichnet ist. Denn trotz heftiger
Streiks und breiten Widerstands verschlechtert sich die Lage vieler
von Tag zu Tag – durch Lohnkürzungen, Hungerrenten,
Privatisierungen und Entlassungen bei gleichzeitigen
Preissteigerungen.

Frontalunterricht

In
dieser Situation „kommt der Ansatz der direkten Demokratie“, wie
die antiautoritäre Monatszeitung Babylonía
schreibt, „nicht nur als Kritik am Bestehenden daher, sondern um es
einzureißen!“ Und weiter: „Es handelt sich nicht mehr nur um
eine bestimmte Art, Entscheidungen zu treffen, sondern um einen Akt
der Selbstermächtigung zur Erlangung der individuellen und
kollektiven Autonomie.“ Mit der Realität auf dem Kongress hatte
das leider wenig zu tun.

Eine
Liste „wichtiger“ Persönlichkeiten – darunter etwa der
Alt-Situationist Raoul Vaneigem, Peter
Bohmer vom Z-Net oder der iranische Soziologe Behrouz Safdari
– ersetzt eben keine lebendige und gesellschaftlich verankerte
Bewegung mit genug Selbstbewusstsein zur inhaltlichen
Auseinandersetzung. Tatsächlich war es auffällig, dass sich die
Zuhörerschaft – in ihrem Wortsinne – sehr passiv verhielt.
Regelrecht hilflos ließ man die ermüdend langatmigen Monologe der
Podiumsredner über sich ergehen. Diese schienen ihrerseits oft nicht
im Geringsten an einem Gedankenaustausch interessiert zu sein. So
nahmen sie auch keinerlei Rücksicht auf die Arbeit der Übersetzerin
– sofern es eine gab –, um auch den GenossInnen aus dem Ausland
einen Einblick in ihr Gedankengerüst zu ermöglichen. Der AK ist
dabei vorzuhalten, zahlreiche Menschen aus anderen Ländern
eingeladen zu haben, ohne eine Übersetzung griechischer Referate
zumindest ins Englische gewährleistet zu haben.

Problematisch
erscheint auch die Tatsache, dass in Thessaloniki Bewegungen und
Organisationen aus aller Welt vorstellig wurden, wichtige Teile der
vor Ort kämpfenden AktivistInnen jedoch fehlten. Wie sinnvoll ist
z.B. die Anwesenheit der eingeladenen FAU, wenn die griechischen
AnarchosyndikalistInnen der ESE und die Basisgewerkschaften nicht
präsent sind? Was bringt die Anreise spanischer HausbesetzerInnen,
wenn fast alle Besetzerkollektive der Stadt durch Abwesenheit
glänzen? Zu den nächtlichen Umsonst-Konzerten im Rahmen des
„Festivals“ – das insofern seinem Namen alle Ehre machte –
erschienen nicht nur sie dagegen zu Tausenden.

Transferleistung mangelhaft

„Heute ist es offensichtlich, dass die arbeitende Bevölkerung die
Systemkrise mit Kämpfen, die auf den Umsturz abzielen, vertiefen
muss“, heißt es in einem Artikel in der Babylonía. Denn
„der katastrophale Durchmarsch von Staat und Kapital“ sei „nur
durch den frontalen Zusammenstoß zwischen Herrschenden und
Beherrschten“ aufzuhalten, so der Autor Theodorópoulos weiter.
Gleichzeitig erklärte das Plenum zur Vorbereitung des „Blocks der
direkten Demokratie“ auf der Großdemo gegen die Regierung, die
einen Tag nach dem Festival stattfand: „Wir machen keine
Protestdemo, sondern gehen mit Vorschlägen an die Gesellschaft auf
die Straße.“

Wenn es so ist, wie es diese beiden Zitate aufzeigen, warum wurde
dann nicht die Chance ergriffen, eine gemeinsame Demo mit den
Basisgewerkschaften, der ESE, den besetzten Häusern und anderen
libertären Gruppen zu organisieren? Wie soll eine „Gegenmacht von
unten“ entstehen, wenn nicht einmal jetzt, während des brutalsten
staatlichen Angriffs seit dem Ende der Militärdiktatur, die
Organisationen zusammenarbeiten, die sich inhaltlich nahe stehen?
Insgesamt scheint hier eine Gelegenheit zu Diskussionen mit Menschen
aus anderen Ländern und Bewegungen verpasst worden zu sein. Auch die
Chance, sich inhaltlich und organisatorisch zu stärken, um in den
kommenden Kämpfen mit (neuen) Bündnispartnern intensiver in die
Gesellschaft zu intervenieren, blieb ungenutzt.

Die breite Berichterstattung der bürgerlichen Tagespresse über den
Kongress ist ein Indiz dafür, dass Alternativen dringend gesucht
werden. In dieser Phase heftiger sozialer Kämpfe, in der
Teile der Gesellschaft bereit, ja teilweise begierig sind, unsere
Meinungen und Vorschläge zu hören, ist das ein Rückschlag. Denn
solange es dem revolutionären Teil der gegen die kapitalistischen
Zumutungen aufbegehrenden Bevölkerung nicht gelingt, eine über die
eigene Organisation hinausgehende Basis zu finden, ist das System in
Griechenland nicht in Gefahr. Kommende soziale Eruptionen sind mit
staatlicher Gewalt einfach niederzuschlagen.

Ralf Dreis

Der Autor lebte länger in Thessaloniki und beteiligte
sich dort an den sozialen Kämpfen. Eine erste Fassung dieses
Beitrags erschien in der
Babylonía,
Nr. 70.

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