Vom Konkurrenten zum Kollegen

In Frankreich sind Illegalisierte bereits Teil der Arbeiterbewegung (Foto: Victor Ferrer)Möglichst
unauffällig, nichts als Arbeit, und vor allem kein soziales Netz –
wer keine gültigen Papiere hat, fühlt sich dem Boss oft vollkommen
ausgeliefert. Zu unrecht. Im September eröffnete in Frankfurt eine
gewerkschaftliche Anlaufstelle für MigrantInnen ohne gesicherten
Aufenthalt. Mit Hamburg, Berlin und München informieren der DGB bzw.
Einzelgewerkschaften nun in vier Städten. Vor sieben Jahren setzte
sich die „Gesellschaft für Legalisierung“ erstmals öffentlich
für einen Kurswechsel der Kolosse ein. Seit 2008 erzielen sie erste
praktische Erfolge. Die
DA sprach mit
Emilija
Mitrović,
Sozialwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der ersten
MigrAr-Anlaufstelle, die in ihrem jüngsten Buch „Menschen ohne
Papiere“ (BdWi-Verlag) die Situation illegalisierter ArbeiterInnen
in Hamburg darstellt.

 

Nach
der jüngsten Neueröffnung in Frankfurt ist bereits die nächste
gewerkschaftliche Anlaufstelle für ArbeiterInnen ohne geregelten
Aufenthalt in Planung. Sie waren bei der ersten von Anfang an mit
dabei. Was ist der Schwerpunkt eurer Arbeit und welche Ziele verfolgt
ihr?

Unser
Ziel war, dass wir insgesamt undokumentierte Arbeiten im
gewerkschaftlichen Rahmen stärker aufgreifen. Denn die Arbeitnehmer
sind ganz besonders der Ausbeutung von Arbeitgebern ausgesetzt, die
wissen, dass sie keinen Aufenthaltsstatus haben. Wir haben einen
Flyer gemacht in acht Sprachen: „Du hast Rechte, auch wenn Du keine
Papiere hast“, das ist sozusagen der Hauptschwerpunkt. Und dann
haben wir eine Beratungsstelle. Da wird überprüft, ob wir die
Möglichkeit haben, etwas zu tun. Dann können sie sich entscheiden,
ob sie Mitglied werden, und dann gehen wir bis zum Arbeitsgericht mit
ihnen.

Wieviele
ArbeiterInnen haben sich seit Frühjahr 2008 an die MigrAr gewandt?
Und wieviel Lohn habt ihr insgesamt geltend machen können?

Circa
200. Die zweite Frage ist etwas schwieriger, weil es meist „gütliche
Einigungen“ gibt. Das heißt, es reicht schon, wenn man sagt, wir
vertreten unser Mitglied, und der Arbeitgeber einigt sich dann mit
dem Arbeitnehmer. Aber vor Gericht durchgesetzt haben wir für eine
Hausarbeiterin etwa 15.000 Euro und für einen Metallarbeiter 25.500
Euro. Zuletzt hatten wir den Fall, wo eine Frau zwei Jahre lang
keinen Urlaub bekommen hatte und auch noch ein Teillohn ausstand –
da geht es um 2.000 Euro, was aber für die Menschen auch noch sehr
viel Geld ist.

Es
ist also noch nicht zu kollektiven Konflikten gekommen, sondern bei
Einzelfällen geblieben?

Es
sind nur Einzelfälle, und ich kann auch nicht sehen, dass es
überhaupt kollektive Strukturen gibt. Wir versuchen jetzt, stärker
mit den Communities in Kontakt zu kommen, um zu sehen, ob man nicht
gemeinsam Aufklärung betreiben kann: Für viele der migrantischen
Kollegen ist ja gar nicht klar, was eine Gewerkschaft ist.

Aus
welchen Branchen hat die Beratungsstelle Zulauf?

Wir
haben hier eine Statistik. Es ist tatsächlich so, dass man in allen
Branchen Papierlose finden kann, außer vielleicht im Öffentlichen
Dienst; aber auch da weiß ich es nicht, wenn ich z.B. an
Gebäudereinigung denke. Aber wir haben nicht nur ganz arme Leute:
Die große Mehrheit ist sicherlich unterbezahlt, aber es gibt auch
einige, die sich ganz gut in diesen Lebensverhältnissen einrichten
können. Das ist auch meine Überzeugung: Wir sollten sie nicht nur
als Opfer sehen, sondern als Kollegen, die auch selbst für ihre
Rechte eintreten können, wenn sie Unterstützung haben.

Bis
zu eine Million Menschen sollen „illegal“ in Deutschland leben.
Können Sie deren Lebenslage kurz skizzieren?

Wir
können sicherlich sagen: In der Regel unterbezahlt, unter Tariflohn
bezahlt; in der Regel sind sie viel schneller fristlosen Kündigungen
ausgesetzt, wenn der Arbeitgeber sie nicht mehr haben will, oder wenn
sie sich gegen irgendetwas wehren; in der Regel leben sie auf
beengtem Wohnraum für überteuerte Mieten; man kann sicher noch
unter einem geschlechtsspezifischen Aspekt sagen, dass Frauen noch
stärker auch einer sexuellen Ausbeutung ausgeliefert sind.

Vom
Arbeitsvertrag her, was ist Ihrer Meinung nach typisch: Erzwungene
Schwarzarbeit oder Arbeit unter falschem Namen?

Illegale
Beschäftigung ist ganz klar die Regel. Ich würde auch eher
empfehlen, ohne Papiere zu arbeiten als mit gefälschten Papieren.
Mit letzteren haben wir die meisten Probleme. Das wollen die
Arbeitgeber nämlich gerne: Die lassen sich falsche Papiere vorlegen
und sagen „Kann ich ja nicht wissen, bei mir ist alles in Ordnung.“
Für die Arbeiter können wir dann kaum was tun. Wir hatten hier eine
Gruppe von acht afrikanischen Arbeitern, die in der Hotelreinigung
gearbeitet haben, mit falschen Papieren. Die sind um 16.000 Euro Lohn
geprellt worden, und als wir das klargekriegt hatten, konnten wir
wirklich nichts machen. Wir hätten dem Arbeitgeber schreiben können
und sagen können, wir lassen als ver.di ein bisschen die Muskeln
spielen. Aber letztendlich kann man nicht für sie klagen, weil man
gar nicht weiß: Für wen klagt man, für den der die Papiere gegeben
hat oder für den, der de facto gearbeitet hat?

Gibt
es Berührungsängste der Gewerkschaften, sich vorbehaltlos auf die
Seite der „illegalisierten“ KollegInnen zu stellen?

Na
logisch gibt es die! Wir sind ja ganz lange davon ausgegangen, dass
das eher eine Konkurrenz ist, die die Tariflöhne untergräbt, statt
davon auszugehen, dass das Kollegen sind, mit denen man sozusagen
Seite an Seite steht. Das ändert sich natürlich auch durch die
ökonomischen Verhältnisse bei uns: Inzwischen gibt es ja eine
Aushöhlung der Arbeitsnormen, so dass es im Grunde jetzt eine Linie
ist bis hin zu demjenigen, der völlig illegal und ausgebeutet
arbeitet. Und davor kann die Gewerkschaft natürlich nicht die Augen
verschließen. Es dauert aber unheimlich lange, bis man einen Apparat
dahin bewegt kriegt, dass auch neue Bewusstseinsformen und
Denkstrukturen aufgebaut werden. Dafür haben wir schon ziemliche
Erfolge hier in Deutschland gehabt, wenn wir davon ausgehen, dass wir
bis Ende des Jahres sieben Anlaufstellen haben werden.

Welches
Risiko gehen die KollegInnen ein, wenn sie sich an MigrAr wenden und
vor Gericht für ihre Rechte eintreten?

Keines,
erstmal. Wenn sie zu uns kommen, gehen sie gar kein Risiko ein, da
sind sie in einem geschützten Raum. Wenn wir für sie zum
Arbeitsgericht gehen, geben wir nur die Gewerkschaftsadresse als
Kontakt an, so dass sie nicht aufgefunden werden können. Und wir
versuchen auch, die Richter zu überzeugen, dass sie nicht persönlich
erscheinen müssen. Wenn es nicht prozessrelevant ist, wie der
Aufenthaltsstatus ist, dann muss kein Richter danach fragen. Außerdem
sind zwar alle Richter gehalten, dem Zoll zu melden, wenn sie
Schwarzarbeit herausfinden. Aber ein kluger Richter macht das nach
Abschluss des Prozesses, und das geht dann zunehmend gegen den
Arbeitgeber.

Vielen
Dank für das Gespräch.

Interview:
Andreas Förster

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