Liberale Rufe nach Vater Staat

Dass er kein Rufer in der Wüste ist, dessen war sich
Lufthansa-Arbeitsdirektor Lauer wohl sicher, als er für die konzerneigene PR-Zeitung
„Lufthanseat“ zur Feder griff. Anfang August, als Arbeitskämpfe mehrerer Gewerkschaften
die Flugzeuge an den Boden fesselten, nahmen v.a. konservative Presseorgane den
Ball gern auf: Der Manager forderte, sekundiert vom Vorstandsvorsitzenden
Mayrhuber, einen „Verhaltenskodex“ der Gewerkschaften. Nein, er stelle keine
Forderung, sondern unterbreite einen „Vorschlag“:

Die Gewerkschaften ver.di, Cockpit und UFO sollten sich mit
der Unternehmensspitze zu einem „Dialog am runden Tisch“ zusammensetzen und
eine Schlichtungsregelung vereinbaren. Bevor die Beschäftigten ihre Macht einsetzen,
solle es künftig immer eine Mediation mit „neutralen Dritten“ geben. Schließlich
kam Lauer denn zum Punkt: Für die Lufthansa sei es ganz „wichtig, dass Streiks
rechtzeitig angekündigt werden“. So simpel naiv und schein-freundlich Lufthansa sich
gibt, so schnell ist der Holzhammer hervorgeholt: Sollten diese Gespräche zu
keiner Einigung führen, müssten Gesetze her. Es bestehe „dringender
Handlungsbedarf“ für die Politik.

Ganz offensichtlich sieht man sich in den Chef-Etagen als
Opfer eines aufkeimenden Gewerkschaftspluralismus. Erst der ver.di-Streik Anfang
August, zeitgleich Warnstreik in einer Tochtergesellschaft (CityLine) der
Cockpit-Mitglieder, und für Anfang 2009 werden ebenfalls Streiks im Zuge von
Verhandlungen zwischen UFO und Lufthansa erwartet.

Dem Lamento schlossen sich an: Dieter Hundt (BDA), Vertreter
des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), der FDP sowie weitere
Konzernvorstände (Fraport). Auch Bahn-Boss Mehdorn dürfte heimlich auf Bruderschaft
trinken, hatte er doch bereits in seinen Kanzlerbrief vom November 2007 einen
„Ordnungsrahmen zum Erhalt der Tarifeinheit“ angemahnt. Indes war sich
SPD-Abgeordneter, „Wirtschaftsexperte“ und ver. di-Mitglied Rainer Wend nicht zu
schade, medienwirksam Beifall zu klatschen und sogar eine Verfassungsänderung
zur Einschränkung der Tarifautonomie durch Tarifgemeinschaft oder
Vertretungsmonopole zu fordern. Es sei „dauerhaft nicht hinnehmbar“,
wenn sich Streiks durch die Konkurrenz von Gewerkschaften hochschaukelten.

Tatsächlich steigt die Zahl der Streiks seit 2006, liegt im
europäischen Vergleich aber noch immer auf niedrigem Niveau. Im selben Jahr
setzten die ÄrztInnen ein Fanal gegen die Lohnbescheidenheit der
DGB-Gewerkschaft – die sog. „Spartengewerkschaften“ sind seither im Aufwind und
auch der DGB gibt sich kämpferischer. Kaum kommt also ein bisschen Bewegung in
die hiesige Tarif- und Gewerkschaftslandschaft, schon fällt den Herren
Unternehmern nichts anderes mehr ein als der Ruf nach dem Staat.

Die DGB-nahe Böckler-Stiftung und Arbeitsrechtler hielten
derweil gegen: Eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit (GG §9 Abs. 3) sei
nicht gerechtfertigt. Das eigentliche Problem sei vielmehr die Unterbietung von
Tarifnormen, etwa durch christliche Gewerkschaften. Zudem sei das Potential der
Spartengewerkschaften begrenzt. Das sieht auch die Regierung derzeit ähnlich.
Damit war das Thema erst einmal gegessen – ausgeschlossen ist indes nicht, dass
es im Wahlkampf nochmal hochkommt. Zudem sei dahingestellt, ob der
Lufthansa-Vorstand mit einer Einheitsgewerkschaft glücklicher würde, wo schon
jetzt nur 51% der ver.di-Mitglieder im Konzern den neuen Tarif akzeptieren
wollten. Und dennoch ist es bezeichnend, dass sich die Unternehmer wegen der
von Spartengewerkschaften losgetretenen Aktivitäten endlich besorgt fühlen. Als
die Einheitsgewerkschaft die Zügel noch fest in der Hand hielt, wog man sich
jedenfalls noch in Sicherheit.

André Eisenstein

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