Kontrollierte Defensive

Die Erfolge unabhängiger Gewerkschaften in den letzten
beiden Jahren haben Verdi zum Umdenken gezwungen. Der überraschend hart
geführte Streik im öffentlichen Nahverkehr in Berlin zu Jahresbeginn kann als
erste Konsequenz dessen betrachtet werden. Man wollte, man musste der Basis
einen Beweis der eigenen Kampfkraft abliefern – und scheiterte kolossal. Der
Berliner Senat führte Verdi vor, der zustande gekommene Tarifvertrag unterscheidet
sich nur in Nuancen vom vollkommenen Gesichtsverlust. Bisher sind über 1.500
Angestellte im Berliner Nahverkehr der GdL beigetreten, Tendenz: steigend.

Damit hat sich an der Ausgangslage für Verdi kaum etwas
geändert. Zurück zum alten Stil, gemütlich hinter verschlossenen Türen sozialpartnerschaftlich
etwas auszuhandeln, kann man nicht mehr. Denn alles, was auf diesem Wege noch
zu erreichen ist, beschränkt sich auf eine Verlangsamung der Verschlimmerung. Die
Zeiten aber, da eine Gewerkschaft in Deutschland ihren Mitgliedern einen neuen Tarifvertrag
zu schlechteren Konditionen noch als Erfolg verkaufen konnte – nach der alten
sozialdemokratischen Devise, es hätte ja noch viel schlimmer kommen können –,
sind endgültig vorbei. Das Gespenst der unabhängigen Kleingewerkschaft, die mit
größerer Kampfbereitschaft und besseren Vertragsabschlüssen Mitglieder in
Scharen abwirbt, wirft drohend seine Schatten.

Erste Lehren gezogen

Bei den jüngsten Arbeitskämpfen, in die Verdi verwickelt
war, wurden erste taktische Konsequenzen sichtbar, die aus der Berliner
Schlappe gezogen wurden. Der Streik des Bodenpersonals der Lufthansa zu Beginn
der Ferienzeit wurde deutlich anders angegangen. Ganz ausdrücklich wollte Verdi
die Fluggäste möglichst wenig treffen und trotzdem genügend Druck auf die
Lufthansa ausüben. Gleichzeitig hielt sich Verdi in den Medien verbal zurück
und gab sich weitaus moderater als in Berlin. War auch Letzteres taktisches
Kalkül, um einen schwachen Abschluss diesmal nicht ganz so peinlich wirken zu
lassen? Zweifellos war es diesmal ein bewusster Schachzug, zu Beginn der
Hauptsaison mit dem Säbel zu rasseln, ebenso, wie rechtzeitig einzulenken,
bevor tausende deutsche Urlauber in überfüllten Wartehallen sitzen und Verdi
verfluchen. Gelungen ist dieser Spagat, sowohl den Arbeitgeber einzuschüchtern
als auch die Bevölkerung nicht gegen sich aufzubringen, nicht. Der erzielte
Abschluss von 5,1% mehr Lohn für das zweite Halbjahr 2008 und nochmals 2,3% für
2009 ist nicht eben ein glorreicher Erfolg. Aber da Verdi hier im Vorfeld den
Mund nicht mehr ganz so voll genommen hatte, wirkt das ganze auch nicht allzu
peinlich.

„Einsatzhuhn Olga“

In Berlin, wo Verdi nun ein gebranntes Kind ist, geht man es
ähnlich wie im Fall der Lufthansa an, nur noch um eine Variante erweitert. Im
Öffentlichen Dienst streikt und verhandelt Verdi im Verbund gemeinsam mit der Bildungsgewerkschaft
GEW und der Gewerkschaft der Polizei (GdP), bei der auch viele Feuerwehrleute
organisiert sind. Dieser Streik wird so leise geführt, dass die Öffentlichkeit kaum
davon Notiz nimmt, vor allem (noch) keine nennenswerten Behinderungen zu spüren
bekommt. „Geduld“ lautet das Zauberwort, das Verhandlungsführerin Westhoff (Verdi)
als Parole vorgegeben hat. Man streikt mehr im Verborgenen, und während der Sommerzeit
wurde der Streik erst einmal ausgesetzt. Druck soll ganz langsam a u f g e – baut
werden, so dass man schön alles unter Kontrolle hat und man sich nicht wieder
vom Senat überrumpeln und von Innensenator Sarazin vorführen lässt. Ob das
gelingt, ist fraglich. Nicht nur, weil man mit der GdP einen sehr, sehr
seltsamen Partner ins Boot geholt hat. So hat sich die Berliner Polizei konkret
auf Bürgermeister Wowereit versteift und war nur mit Mühe davon abzuhalten, mit
hunderten uniformierten KollegInnen dessen Privathaus zu belagern. Verstörend
auch die Kampagne der GdP, in der das „Einsatzhuhn Olga“ (sic!) als Gummitier
am Galgen baumelt. Man möchte lieber nicht darüber nachdenken, woran das alles
erinnert…

Auf der anderen Seite ist die Geduld der Kollegen und
KollegInnen im Öffentlichen Dienst in Berlin bereits arg strapaziert. Verdi verhandelt
– leise und geduldig – bereits seit zwei Jahren (!) mit dem Senat, ohne
greifbaren Erfolg.

Selbstverschuldetes Dilemma

Bei Verdi hat man begriffen, wie wichtig es ist,
nennenswerte Abschlüsse zu erzielen, dass man dafür Druckpotential aufbauen und
einsetzen und – gerade im öffentlichen Bereich – Rücksicht auf KonsumentInnen nehmen
muss. Die gezogenen Konsequenzen wirken teils halbherzig, teils zaudernd, und haben
im Fall des Lufthansa-Streiks keinen ernsthaften Fortschritt gegenüber dem
Fiasko von Berlin erbracht. Sicherlich offenbart sich hierin die tatsächliche
Laienhaftigkeit der Verdi-Führung, der es an Streikerfahrung und probaten
Kampfstrategien mangelt. Doch auch wenn sich die Supergewerkschaft sichtbar bemüht,
aus Fehlern zu lernen, wird das allein nicht reichen. Denn die Ursachen für die
Defensive, in die der DGB geraten ist, sind zu einem großen Stück hausgemacht.

Skandale um Gewerkschafter, die im Zusammenhang mit ihrer
Tätigkeit in Aufsichtsräten standen, beschädigen dauerhaft die Glaubwürdigkeit des
DGB. Und wenn etwa Verdi-Boss Bsirske verwundert erklärt, es sei doch „ganz
normal “ , wenn er von derselben Fluglinie, gegen die die
Gewerkschaft, der er vorsitzt, gerade streikt, einen Gratisflug erster Klasse
nach Los Angeles nutzt, hat er eben – und leider – recht. Drollig wie tragisch denn
auch der Kommentar der Tageszeitung, die das prominente Grünen-Mitglied
in Schutz zu nehmen versucht: die Kritik an Bsirskes Doppelmandat sei
lächerlich, denn „zu Ende gedacht hieße das, ein Gewerkschafter könnte kein
Aufsichtsrat mehr werden, da er im Streikfall in einen Interessenkonflikt
geraten könnte“. Nein! Zu Ende gedacht heißt das, es ist ein
Interessenkonflikt, immer und in jedem Fall, nicht nur wenn gestreikt wird. Die
Chuzpe, mit der immer noch vom DGB die institutionalisierte Korrumpiertheit von
GewerkschafterInnen als Errungenschaft verteidigt wird, zeugt schon von einer
gehörigen Portion Realitätsverlust. Niemand scheint dort zu begreifen, dass sie
längst viel zu eng mit Mechanismen des Kapitals verwoben sind (siehe
Hintergrund) und sie sich durch gesetzliche Regelungen, wie dem
Verbot von politischen und Solidarstreiks, die sie entscheidend mitbewirkten,
selbst des nötigen Handlungsspielraumes beraubt haben.

Paradoxerweise könnte das Entstehen bzw. Erstarken
alternativer Kleingewerkschaften dabei helfen, diese systemische Schwäche zu
überwinden und auch Verdi langfristig stärken.

Die französischen Verhältnisse kommen

Im Bereich der Luftfahrt ist die Macht des DGB als
Einheitsgewerkschaft längst gebrochen. Neben der schon etablierten „Pilotenvereinigung
Cockpit“ ist nun die Gewerkschaft der Stewards und Stewardessen UFO
(Unabhängige Flugbegleiter Organisation) ein weiterer Faktor im Arbeitskampf.
Die 1992 von Verdi abgespaltene (woran erinnert uns das bloß?) Kleingewerkschaft
zählt nach eigenen Angaben 10.000 Mitglieder und verfügt über ein beachtliches
Druckpotential (man vergesse nicht, dass FlugbegleiterInnen nicht nur für den
Service, sondern auch für Sicherheit zuständig sind). UFO hielt sich bei den
Verhandlungen Verdis mit der Lufthansa zurück, um nach dem Abschluss zu
erklären, diesen nicht übernehmen und nächstes Jahr selbst für mindestens 15%
Lohnerhöhung streiken zu wollen. Und die Erfolgschancen stehen nicht schlecht.

Der Lufthansa-Vorstand stöhnte schon über die entstandene
Situation, wo es mit mehreren Gewerkschaften viel schwieriger geworden ist,
(günstige) Abschlüsse zu erzielen. Nebst den üblichen Drohgebärden (wenn Lohnerhöhung,
dann Stellenabbau) mahnte die Lufthansa nun an, man müsse neue Wege und
Regelungen finden, und schlug z.B. einen „Runden Tisch“ vor, an dem alle
zuständigen Gewerkschaften beteiligt sind, oder ein Schlichtungsverfahren vor
Streiks nebst einem entsprechenden Streikverbot bis zum Schiedsspruch. (siehe „Liberale Rufe nach Vater Staat“) Das sind erste und
durchaus hilflose Reaktionen, die zeigen, dass die aufkeimende Auffächerung der
deutschen Gewerkschaftslandschaft nicht zu einer Schwächung, sondern vielmehr
zu einer Stärkung der Position der Lohnabhängigen führt. Keine Gewerkschaft
kann es sich mehr leisten, mit dürftigen Abschlüssen die Basis zu verprellen. Dass
49% der Verdi-Mitglieder bei Lufthansa gegen die neue Tarifvereinbarung
stimmten, dürfte im ganzen DGB die Alarmglocken unausgesetzt schellen lassen.
Ein derart starkes Aufbegehren der eigenen Basis hat es selten gegeben.

Matthias Seiffert

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