Kolumne Durruti

„Sie möchten was bitte?“ Der Beamte hinter seinem
Schreibtisch schaut mich mit großen Augen an. „Meinen eigenen Staat gründen“,
wiederhole ich mein Anliegen. „Jajaja, ich habe Sie schon verstanden. Soll das
ein Scherz sein?“ Ich setze einen beleidigten Gesichtsausdruck auf. „Das hier
ist das Grundbuchamt, junger Mann, Sie können hier keinen … Das ist doch wohl
wirklich …“ Plötzlich klart sich sein Ausdruck auf. „Wenden Sie sich an die
Vereinten Nationen, ich kann ihnen nicht weiterhelfen. Und jetzt bitte, ich
habe zu Arbeiten.“ Sichtbar erleichtert, mich so einfach loswerden zu können,
geleitet er mich zur Tür, sein Vorschlag allerdings wird nur eine
Straßenbahnfahrt später in die Tat umgesetzt. Ein förmliches Schreiben
informiert alsdann den UN-Sicherheitsrat über meine Pläne, den mir zur
Verfügung stehenden Lebensraum (sechzig Quadratmeter inklusive Balkon) als mein
Staatsgebiet auszurufen und so das unabhängige Königreich Kleinwohnistan (der
Name war ein Schuss aus der Hüfte) zu begründen, rechtskräftig falls nicht
binnen vierzehn Tagen Widerspruch eingelegt wird. Marke drauf und ab in den
Briefkasten, zwei Wochen später große Krönungszeremonie: die Merkel war
eingeladen, kam aber nicht, Bush genauso; die außenpolitischen Beziehungen
scheinen von Anfang an belastet zu sein. Zwei bis zwanzig Leute kommen dann
aber doch, als ich mich zum Großherrlichen König von seiner selbst Gnaden
ausrufen lasse. Danach ist erstmal Aufräumen angesagt.

Aus statistischer Sicht lässt sich der neue Staat gut an:
niemand ist unter der Fünfzig-Prozent-Armutsgrenze, die überwältigende Mehrheit
der Einwohner hat einen hohen Bildungsabschluss, die Verschuldung ist moderat.
Das ändert sich schlagartig, als ich am nächsten Morgen eine Ameisenkolonie im
Balkonkasten finde. Illegale Einwanderer! Tausende! Ich verzichte erst einmal
darauf, sie auszuweisen, immerhin macht es mich auch ein wenig stolz, in einem
Staat zu leben, der so viele anzieht. Doch bald tauchen die ersten
Schwierigkeiten auf. Da Kleinwohnistan über keinerlei Industrie und kaum
Landwirtschaft verfügt – von einem Tomatenstock auf dem Balkon mal abgesehen –,
muss so gut wie alles importiert werden; für die nötigen Devisen muss ich meine
Arbeitskraft exportieren, was meine Regierungsfähigkeit stark einschränkt.
Meine neuen Bürger tragen so gut wie nichts zum Bruttosozialprodukt bei,
stattdessen fallen sie über die teuer eingeführten Nahrungsmittel her. Als ich
versuche, ihnen Einhalt zu gebieten, werden sie zunehmend militant. Auch mein
Angebot demokratischer Beteiligung findet wenig Anklang. Bald finde ich einige,
die sich mittels gestohlener Hefe selbst in die Luft gesprengt haben. Das macht
mir Angst: Wenn der Bush erfährt, dass ich Terroristen beherberge, werde ich
sicher bald bombardiert. Und das will ja nun niemand. Eine Lösung muss her, und
zwar schnell!

Die erscheint in Form der örtlichen Schrebergartensiedlung.
Dort wohnen Wilde. Nur mit Feinrippunterhemden und Sandalen bekleidet und kaum des
sprachlichen Ausdrucks fähig, harren sie aus, bis ihnen jemand endlich
Zivilisation und etwas Ordentliches zum Anziehen bringt. Und zumindest zu Ersterem
fühle ich mich berufen. Hier also der Plan: Mittels einiger schweizerischen
Soldtruppen und ein- bis zweitausend meiner eigenen, zwangsrekrutierten Bürger
(es gab viel Tumult bis ich sie endlich in der Kasern, einer alten Tupperwaren-Dose,
hatte) eines oder mehrere Gartenareale besetzen, den Eingeborenen ein wenig aus
dem Faust vorlesen und ihnen anschließend zeigen, wie sie mittels
Fruchtwechselwirtschaft und dem Verzicht auf unnötige Rasenflächen ihre
Produktivität soweit erhöhen können, dass nicht nur ihr neuer Kolonialherr,
ich, davon profitiert, sondern auch die bis zu zehntausend Siedler, die sich
demnächst dort niederlassen werden.

Lesen Sie demnächst: Das Commonwealth Großwohnistan, die
Industrialisierung, außenpolitische Weltuntergangsstimmung und Versuche mit der
Anreicherung von Uran.

Christian Schmidt

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