Kafkaeske Prozesse

Ein Justizskandal erster Klasse spielt sich derzeit in
Österreich ab. Die österreichische Tierrechtsbewegung sieht sich der größten Repression
gegen alternative Strukturen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausgesetzt, welche
totalitären Züge annimmt. Neun Menschen sitzen in Untersuchungshaft – seit mehr
als drei Monaten und ohne jeglichen konkreten Verdacht, geschweige denn Beweis.

Begonnen hatte alles am frühen Morgen des 21. Mai. Die
Polizei krachte in 23 Wohnungen und Büros gleichzeitig hinein. Angeklopft wurde
meist nicht, sondern gleich die Türen mit dem Rammbock aufgebrochen. Teilweise wurden
Schlafende von zehn Vermummten mit an den Kopf gehaltener Pistole geweckt. Eine
Frau wurde nackt aus der Dusche gezerrt, musste sich bei angehaltener Pistole
hinknien und mit dem Kommentar, dass es sich nur um Privatfotos handle, in
dieser Lage abfotografieren lassen.

Den Vorwand für diese Repressionswelle lieferte das
Konstrukt der „Bildung einer kriminellen Organisation“. Betroffen sind Menschen
aus dem gesamten Spektrum der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung, von großen –
teilweise sehr kritikwürdig agierenden – Vereinen, über kleine Vereine bis zu
libertären Zusammenhängen. Der Staat hat sich des Anti-Mafia Paragraphen 278a
des Strafgesetzbuches bedient, damit lässt sich schon alleine die
Mitgliedschaft in einer solchen Organisation sanktionieren, ganz egal ob es
tatsächlich zu Straftaten gekommen ist.

Zehn Menschen wurden umgehend verhaftet. Genau jene Anzahl,
die eine kriminelle Organisation nach ständiger Judikatur mindestens braucht.
Konkrete Tatvorwürfe gibt es bisher jedoch nicht. Mehr noch, die Staatsanwaltschaft
wird nicht müde zu betonen, dass keine Taten nachgewiesen werden müssen, sondern
die Existenz einer „Kriminellen Organisation“. Betroffen sind durch die Bank Menschen,
die sich an öffentlichen Aktionen – Demonstrationen, Kampagnen, Unterschriftenlisten
– beteiligten.

Über zwei Jahre wurde gelauscht und überwacht, was das Zeug
hält. Es wurden 17 Menschen persönlich observiert, 15 Wohnungen videoüberwacht,
Spitzel eingeschleust, 22 Telefone permanent abgehört, Ruf- und Standortdaten
erfasst, IP-Adressen und E-Mails mitprotokolliert, Bewegungsprotokolle erstellt,
genetisches Material entnommen, freilich ohne dass sich ein konkreter
Tatverdacht ergäben hätte.

Mediale Nebelgranaten, zum Beispiel angebliche Gas-Attentate,
entpuppten sich auf Nachfrage als das angebliche Verspritzen von Buttersäure.
Nichts desto trotz wurden solche Falschmeldungen von manchen Medien freudig reproduziert.
Einige bürgerliche Medien berichten jedoch immer kritischer über die massive
Willkür der Behörden, deren eigentliches Ausmaß hier nur verkürzt wiedergegeben
werden kann.

So wurde zum Beispiel auch veröffentlicht, dass es eine
Brandstiftung bei einer Jagdhütte gegeben haben soll. Nach einiger Zeit wurde
jedoch bekannt, dass die Polizei immer gewusst hatte, dass die Ursache eine Ofenüberhitzung
war. Dennoch wurde die Handyortung eines Verdächtigen drei Tage nach(!) dem
Brand in der Nähe der Hütte missbraucht, um einen Zusammenhang zu konstruieren.

Der alternde Ex-Nationalratspräsident Andreas Kohl (ÖVP)
wiederum will unterdessen, die Schöpfung schützend, den militanten Tierschutz
als Terrorismus verstanden wissen – und dazu bemüht er sogar das seit Jahren nicht
mehr erscheinende autonome Magazin TATblatt, das er mit der Causa sowie
der Grünen Partei in Verbindung bringen will – es herrscht akuter Wahlkampf in
Österreich.

Schreckliche Phantasie

Unglaublich auch der folgende Akt des Dramas: Die Polizei
hat einen Kronzeugen in den Akten präsentiert. Dieser soll etliche der Verhafteten
schwer belastet haben. Nun hat dieser Mann umgehend seinen Anwalt eingeschaltet
– eine Amtsmissbrauchsklage gegen die Polizei wurde von ihm eingebracht – denn er
bestreitet, die Aussagen jemals getätigt zu haben. Dennoch sitzen neun
Beschuldigte weiterhin in U-Haft.

Der eigentliche Grund für die repressive Kampagne des
Staates und die Einrichtung einer Sonderkommission dürfte jedoch eine erfolgreiche
Kampagne der TierschützerInnen gegen Pelzverkauf sein. In einer Anzeige wird „Otto
Graf“ als „geschädigtes Unternehmen“ genannt, jene Gruppe, zu der auch die
Modefirmen Hämmerle und Kleiderbauer gehören. Ob die Gerüchte, dass der
ehemalige Innenminister Günther Platter (ÖVP) ein persönlicher Freund der
Familie Graf sei, irgendeinen Wahrheitsgehalt haben, ist bei all den oben genannten
Begebenheiten eigentlich auch schon belanglos. Denn wenn das Kapital
angegriffen wird, schlägt es eben zurück.

Die Untersuchungshaft wird weiterhin mit zwei nicht
haltbaren Argumentationslinien legitimiert: einerseits Verdunkelungsgefahr, da einige
AktivistInnen die absolut legale PGP-Verschlüsselung für ihre E-Mails nutzen.
Und andererseits Tatbegehungsgefahr, „wegen des langjährigen politischen
Aktivismus der Inhaftierten“. Ergänzt wird dieses Vorgehen durch das Angebot
der Gerichte, eine Enthaftung gegen Preisgabe der Passwörter für beschlagnahmte
Computer anzuordnen. Bereits mehrere Haftprüfungen plus Überprüfungen durch das
Oberlandesgericht Wien wurden mit diesen Argumenten geführt, und die U-Haft für
neun der zehn Menschen jeweils verlängert.

Mittlerweile wurden alle beteiligten Beamten, vom
Soko-Leiter über die Richter bis zum Staatsanwalt, wegen Verdachts der
Freiheitsentziehung, des Amtsmissbrauchs, der Verleumdung und Sachbeschädigung
von einem Grünen-Politiker angezeigt.

Dass sogar Amnesty International, die Grünen, als auch die
Sozialdemokraten für die Inhaftierten interveniert haben, nutzte bisher nichts.
Dass ein Anti-Mafia-Paragraph auf Nichtregierungsorganisationen angewandt werden
kann, lässt nichts Gutes erahnen. Jene, die noch einen Funken Vertrauen in den bürgerlichen
Rechtsstaat hatten, werden sich hoffentlich in Zukunft keinerlei Illusionen mehr
hingeben. Dass es sich dabei um einen Angriff gegen uns alle handelt, ist
selbstverständlich unzweifelhaft – auch für weniger tierrechtsbewegte
AnarchosyndikalistInnen. Die volle Solidarität gilt den Inhaftierten.

Arbeiter von Wien

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