Solidarität und gegenseitige Hilfe

Eine Syndikalisierung des mexikanischen Gewerkschaftswesens
war die Hoffnung des ersten Beitrags dieser Reihe, angesichts der
Diskreditierung des Begriffes „Syndikalismus“ in Mexiko wurde im zweiten Teil
abschließend ein „ArbeiterInnenzapatismus“ als Alternative benannt. Aus beidem
wird aber nur ein Schuh, wenn zum einen eine internationale Perspektive und zum
anderen ein Konzept, wie es nach dem konkreten Arbeitskampf weitergehen soll,
mitbedacht wird. Beispielhaft soll dies am Arbeitskampf der ArbeiterInnen des
Reifenwerks EUZKADI in Guadalajara erläutert werden.

Mit dem einjährigen Streik beim Flughafen–Caterer Gate
Gourmet (2006/2007) in Düsseldorf und dem weitgehend unbekannten 395-tägigen
Streik der Leverkusener BusfahrerInnen (2004/2005) hat die BRD im beginnenden
neuen Jahrtausend die längsten Streiks ihrer Geschichte erlebt. Solches Durchhaltevermögen
fordert allen Respekt und wäre ohne einen starken Kampfeswillen und Solidarität
von außen nicht möglich gewesen.

Diesen „deutschen Rekord“ übertreffen die Arbeiter des
Reifenwerks Euzkadi in Guadalajara/Mexiko jedoch bei weitem: drei Jahre
blockierten sie das von der Schließung bedrohte Werk.

Euzkadi war ein mexikanisches Traditionsunternehmen, das
seit den 1940er Jahren und in Guadalajara seit 1970 Reifen produziert. Schon
immer gab es bei Euzkadi mit SURTE (Sindicato Unico de Trabajadores de Euzkadi)
eine recht kämpferische, „rote“ Gewerkschaft im Betrieb, aus der 1970 die nicht
weniger radikale SNRTE (Sindicato Nacional Revolucionario de los Trabajadores
de Euzkadi) hervorging.

1998 gingen die Euzkadi-Werke durch Verkauf an die
Continental AG. 2001 gewannen die radikaleren Mitglieder der SNRTE die
Gewerkschaftswahlen in El Salto bei Guadalajara. Daraufhin ließ Continental das
Werk schließen, da sich die Gewerkschaft vermeintlich Reformen verschließe, für
die, wie Conti-Vorsitzender Manfred Wennemer betonte‚ „deutsche Gewerkschaften
lange gekämpft haben“ und weil die Maschinen in diesem Werk veraltet seien. Die
Gewerkschaft hielt dagegen: Das Werk in El Salto sei das modernste in ganz
Lateinamerika. Vor allem aber, so wurde uns beim Besuch des Werkes immer wieder
bestätigt, sei es Continental darum gegangen, die bestehende Gewerkschaft mundtot
zu machen. Die Praxis, einen Betrieb zu schließen und unter neuem Namen – ohne
die entsprechende Gewerkschaft – wieder zu eröffnen, wurde hier nicht zum ersten
und nicht zum letzten Mal in Mexiko angewendet. Dass dies der Plan der Conti-Manager
gewesen ist, davon waren und sind die Arbeiter überzeugt.

Also blockierten sie den Abtransport der Maschinen – und
dies über genau drei Jahre. Vier Arbeiter sind dabei verstorben, mindestens
einer, weil er sich bewusst für den Streik und gegen eine Abfindung, einen neuen
Job und damit eine Krankenversicherung entschied. 100 Arbeiter emigrierten in die
USA, um dort noch ein Auskommen zu finden. In Mexiko standen die Familien der Streikenden
auf schwarzen Listen, regional noch eine Stelle zu bekommen war unmöglich. Hausfrauen
nahmen Arbeiten an, studierende Kinder mussten ihr Studium abbrechen, um ihre
Familie zu ernähren.

Das ist in diesem Arbeitskampf keineswegs einmalig, aber zu
betonen. Die 600 Euzkadi-Arbeiter, die sich zum Kampf gegen die Continental
entschieden, konnten dies nur, weil ihre Familien hinter diesem Kampf standen.
Jesús Torres Nuño, damals Gewerkschaftssprecher, betont in der
WDR-Dokumentation „David gegen Goliath“ von Matthias Enger: „Der Tequila und
die Frauen haben uns geholfen, diesen Kampf zu gewinnen.“. Das mag
mexikanisch-machistisch klingen, aber Jesús Torres wie auch Enrique Gómez, der
politische Berater der Streikenden von der trotzkistischen Arbeiterpartei POS
(Partido Obrero Socialista) betonen, dass dies nicht sexistisch gemeint sei,
sondern dass die Arbeit, das Streikposten-Stehen, der praktische Kampf der
Angehörigen, ohne die Hausfrauen die vor dem Betrieb standen, unterbezahlte, halblegale
Jobs annahmen und ihre Familien versorgten, nicht möglich gewesen oder dieser Kampf
schon früh verloren gewesen wäre. Die Entscheidung für den dreijährigen Kampf fiel
in den Familien.

Internationale Solidarität

Aber nicht allein die Unterstützung der Familien war es, die
den Kampf letztendlich zum Erfolg führte, wesentlich war auch die Unterstützung
von außen.

Die SNRTE wendete sich früh an Organisationen im Ausland,
insbesondere in Deutschland und hier noch mal insbesondere in Hannover, dem
Hauptsitz der Continental. Besondere Solidarität erfuhren die Arbeiter hier von
FIAN und Germanwatch. Als diese beiden Organisationen zum ersten Mal
Gewerkschafter aus Guadalajara nach Deutschland einluden, war es Zufall, dass gleichzeitig
die Aktionärsversammlung der Continental stattfand. Die Reaktionen der Aktionäre
sprechen gegen sie, auf die Frage, warum denn der Betrieb geschlossen worden sei,
antworteten sie, dass die Arbeiter dort nicht arbeiten sondern streiken würden.
Die Kritischen Aktionäre übergaben Jesus Torres ihr Rederecht, so dass dieser
mehrfach vor den Aktionären sprechen konnte.

Ein Akteur, der eigentlich sofort hätte alarmiert sein
sollen, tritt allerdings überhaupt nicht in Erscheinung: die deutsche DGB-Gewerkschaft
IG BCE, welche im Stammwerk in Hannover vertreten ist. Mehrfach haben wir in
Mexiko und bei einem Gegenbesuch in Deutschland gefragt, warum denn der DGB
nicht angesprochen wurde. Für die mexikanischen Streikenden waren die
Gewerkschaften des DGB der erste Ansprechpartner. Die Reaktionen aus dem DGB
wurden von den mexikanischen KollegInnen als „desaströs“ und „absurd“
beschrieben. Deutsche Minister seien wesentlich einfacher zu kontaktieren gewesen
als Offizielle der zuständigen Gewerkschaft. Abgesehen von Einzelpersonen aus
dem Betriebsrat der Continental Hannover, denen daraufhin ein entsprechender Gegenwind
ins Gesicht blies, gab es keinerlei Reaktionen aus den Reihen des DGB, bis
dieser unter entsprechendem öffentlichen Druck stand: Erst als sich die
deutsche Parteipolitik einmischte, fühlte sich auch der DGB berufen, sich
einzumischen.

Die erfahrene Solidarität und die dadurch hergestellte
Öffentlichkeit waren eindrucksvoll, jedoch nicht die einzige Ursache, die den
Umschwung herbeiführte. Die Arbeiter von Euzkadi mussten auch vor die Gerichte ziehen.
Mit Unterstützung von FIAN und Germanwatch wurde international geklagt und die
Schließung des Betriebes wurde für unrechtmäßig erklärt. Mexikanische
Arbeitsgerichte erkannten währenddessen den Streik als rechtens an. Erst durch
diese Urteile wurde der Arbeitskampf 2005 zu einem Erfolg. Die Continental AG
musste 2005 neben den ausstehenden Löhnen von drei Jahren auch eine Abfindung
zahlen, insgesamt etwa die Hälfte des Betriebswertes. Gemeinsam mit dem
Reifenvertrieb El Llanto, vorher Abnehmer von Euzkadi, kauften die Arbeiter den
Betrieb und produzieren seitdem selbstverwaltet.

Die 600 ehemalig Streikenden produzieren bis heute
qualitativ hochwertige Reifen. Im Arbeitsablauf hat sich einiges geändert. So
wurden die alten Vorarbeiter abgeschafft und die Arbeiter wählen selbst die
Bereichsbeauftragten, die den Produktionsprozess bestimmen und kontrollieren.
Jesús Torres, seinerzeit Gewerkschaftsvorsitzender, heute in geheimer, freier
und gleicher Wahl gewählter Vorsitzender der Kooperative TRADOC (Trabajadores
Democráticos de Occidente), zeigt uns stolz seinen Arbeitsplatz an einer Walze
in der Fabrik. Aber er zeigt auch sein Büro. Über seinem Schreibtisch hängt
eine Machete aus Atenco, überreicht durch die Organisationen, die in Atenco
gegen den Flughafenausbau gekämpft haben und deren Mitglieder nun teilweise in
mexikanischen Gefängnissen sitzen. Seit Beginn des Kampfes in Atenco spenden
alle Arbeitenden einen Teil ihres Lohns an die Inhaftierten. Jesús Torres begründet
das damit, dass auch die Arbeiter von Euzkadi drei Jahre lang zuverlässig von der
Getränke-Kooperative Pascual, die Anfang der 1990er einen ähnlichen Kampf
ausgefochten hatte, jeden Monat entsprechende Spenden bekommen hat. Ebenso
werden auch andere ArbeiterInnen, die gerade dabei sind Kooperativen zu
gründen, unterstützt, beispielsweise in Ocotlan, Tonel und Atenco. Genauso
stolz wie auf die Machete aus Atenco ist Jesus sichtbar auf die beiden jungen Frauen,
die nun bei TRADOC arbeiten: Bei Euzkadi haben nur Männer gearbeitet.
Ungewöhnlich für mexikanische Verhältnisse versucht die Kooperative auch, den
mexikanischen Machismus zumindest abzumildern.

Keine Bewegung ohne Widersprüche

Sicher ist die Zukunft der Kooperative keineswegs, wie
Enrique Gómez bei seinem Gegenbesuch in Münster betonte. Die Produktion läuft
stetig und stabil und dank der Beteiligung des vierköpfigen Vertriebs El Llanto
ist eine Mindestabnahme garantiert. Die Löhne, die gezahlt werden, waren bisher
für alle gleich, die Kooperative hat vor kurzem allerdings eine Staffelung der
Löhne eingeführt. Die momentane Produktion reicht nicht aus, TRADOC ist auch
nicht mehr Bestandteil der „anderen Kampagne“ der EZLN. Auf Nachfrage erklärt
Enrique Gómez, dass die ArbeiterInnen politisch zu verschieden seien, um diese
vorbehaltlos zu unterstützen. Auf dem Parkplatz der Fabrik findet man auch PKWs
mit Aufklebern der regierenden (rechtsliberalen bis regional
rechtsextremistischen) PAN. Enrique Gómez zeigt sich sichtlich frustriert, dass
im Eingangsbereich der Fabrik nach wie vor die Büste des Betriebsgründers steht
wie auch eine Plakette, die an die geplante Wiederöffnung des selbstverwalteten
Betriebs durch den damaligen Präsidenten Vicente Fox (PAN) erinnert. Fox hatte
bei einem Deutschland- Besuch betont, dass er es nicht dulden würde, dass ein
deutscher Konzern mexikanisches Arbeitsrecht brechen würde. Aus dem Munde des
ehemaligen mexikanischen Coca-Cola- Managers eigentlich eine leere Phrase –
aber zu diesem Zeitpunkt waren die mexikanische und internationale
Rechtssprechung bereits auf Seiten der Streikenden. Aufgetaucht ist Fox dann
aber doch nicht bei der Eröffnung eines selbstverwalteten Betriebs.

Diese Details mögen einen politisch denkenden Menschen
vielleicht frustrieren, aber lassen wir ideologische Bedenken beiseite, bleibt
ein mit allen möglichen Mitteln – konkreter Arbeitermacht, internationaler Solidarität,
Öffentlichkeit und Nutzung des bestehenden Rechts – erfolgreicher Arbeitskampf,
der zu einem erstaunlichen Ergebnis geführt hat: einem selbstverwalteten
Betrieb. Parallelen zum Arbeitskampf bei Bike Systems Nordhausen drängen sich
nahezu auf. Auch Strike Bike wäre nicht eine GmbH geworden, ohne einerseits die
Unterstützung der FAU zu haben, andererseits aber auch vorbehaltslos mit
Politikern des Landes Sachsen-Anhalt zu sprechen. Ein Strike Bike mit Reifen
von TRADOC – das klingt doch eigentlich toll.

Torsten Bewernitz

 

In der Direkten Aktion #190 wird es einen abschließenden Artikel
mit einem Fazit der Artikel-Serie geben: Was können wir in Mitteleuropa von
den Klassenkämpfen in Mexiko lernen?

Zu dem Streik und der Selbstverwaltung bei Euzkadi gibt es
folgende Bücher auf deutsch:

  • Dortmund, Mechthild (Hrsg.): „Einen Tag länger als
    die Continental. Der Sieg der Arbeiter von Euzkadi/Mexiko über einen
    internationalen Konzern. Ein Streikbericht von Enrique Gómez Delgado“.
    Mit
    Beiträgen von Hubert Brieden, Dietrich Höper, Stephan Krull und Jürgen Scharna.
    Verlag Region + Geschichte, Neustadt 2008.
  • Gregor Maaß/Lars Stubbe (Hrsg.): „Contra
    Continental. Der Widerstand der mexikanischen Euzkadi-Arbeiter gegen den
    deutschen Reifenkonzern“.
    Neuer ISP-Verlag, Karlsruhe 2008.

 

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