Alternativen machen Schule

Nach
dem Urteil von Bremen, bei dem die Klage eines Elternpaares gegen die
Schulpflicht ihrer beiden Kinder abgewiesen wurde, ist die Debatte
über „Homeschooling“ neu entbrannt. David trat gegen Goliath an
und hat verloren, Solidarität mit den Betroffenen ist eine
verbreitete Reaktion. Doch die zentrale Frage, ob Home- oder auch
„Unschooling“ libertäre Konzepte sind, wird oft zu wenig
diskutiert.

Auf
den ersten Blick mögen diese Konzepte verführerisch erscheinen:
selbstbestimmtes Lernen in einer druckfreien Atmosphäre, frei von
Lehrer-Schüler-Hierarchien und ein Lernen, ausgerichtet an den
eigenen Interessen. Für viele, gerade diejenigen, die in irgendeiner
Form studiert haben, hört sich das attraktiv an. Doch sind die
Kehrseiten nicht von der Hand zu weisen.

Ein
Schritt vor – zwei zurück?

Die
Abschaffung der allgemeinen Schulpflicht wird in erster Linie denen
Tür und Tor zu Bildung öffnen, die sich das materiell leisten
können. Wohlhabende Eltern könnten mit Leichtigkeit teure
Privatlehrer engagieren oder sich in eigenen Netzwerken zusammen
schließen und elitäre, private Bildungseinrichtungen gründen.
Ebenfalls profitieren würden die so genannten bildungsnahen
Elternhäuser, die vertraut sind mit bürgerlichen Bildungsstandards
und diese vermitteln können. Im Umkehrschluss blieben all jene auf
der Strecke, die nicht über die materiellen oder ideellen Ressourcen
verfügten. Und auch allein Erziehende verfügen im Schnitt über
weniger zusätzliche Zeit, um den Bildungsprozess ihrer Kinder zu
fördern, als „traditionelle“ Familien.

So
betrachtet entpuppen sich Home- und Unschooling als gesellschaftlich
ebenso elitäre wie konservative Bildungsansätze. Die gern zitierte
„Chancengleichheit“ würde hier noch weniger als im staatlichen
Schulsystem verwirklicht. Darüber hinaus liegt beiden Konzepten kein
Ansatz gemeinschaftlichen Handelns zu Grunde. Im Gegenteil:
Lernprozesse finden nach diesen Modellen vor allem isoliert in den
Familien statt. Die Möglichkeiten, in einer großen Gruppe
unterschiedlicher Menschen Konflikte zu bearbeiten und
Lösungsstrategien zu entwickeln, solidarisch zu handeln oder
gemeinsam Regeln des Miteinanders zu entwickeln, werden verspielt.
Ganz abgesehen davon, dass es fragwürdig ist, Kinder nationalistisch
oder religiös geprägter Familien in diesem Maße dem
Einflussbereich ihrer Eltern auszuliefern, mit wenig Chancen, andere
Standpunkte zu erfahren und sich kritisch darüber auseinander zu
setzen. Es ist unstrittig, dass staatliche Repressionen und
Zwangsmaßnahmen keine adäquaten Mittel sind, auf alternative
Bildungswünsche von Eltern zu reagieren. Doch die Abschaffung der
Schulpflicht ist es auch nicht. Vielmehr sollte das Augenmerk auf die
Alternativen gelegt werden.

Alternativen
statt Verweigerung

Eine
Möglichkeit für das hier und jetzt: Die Schulpflicht wird
beibehalten, doch das Bildungsmonopol entfällt. Alle Schulen, egal
welchen Typs, werden nach gleichen Maßstäben finanziert,
beispielsweise gemessen an der Anzahl von Kindern und Jugendlichen,
die eine Schule besuchen. Zugelassen werden nur Schulen, die sich
libertären Grundsätzen verpflichten. Kinder, Jugendliche und deren
Erziehungsberechtigte wählen die Schule, die ihren Vorstellungen am
ehesten entspricht. Ein Wechsel ist jederzeit möglich. Schulgeld
wird in keinem Fall erhoben. In diesem Szenario spielen die
Alternativen zu staatlichen Schulformen die zentrale Rolle. So ergibt
sich die grundlegende Frage, was Alternativschulen in einem
libertären Diskurs sein könnten. Eine gute Orientierung bieten
immer noch die 8 Thesen des Bundes der freien Alternativschulen
(BfAS). Nach diesen ist die wichtigste Dimension von Schule das
Erlernen demokratischen Handelns. Kindern und Jugendlichen soll ein
Lernraum zur Verfügung gestellt werden, den sie gemeinsam mit den
Erwachsenen strukturieren. Dies betrifft die Inhalte dessen und die
Formen, in denen gelernt wird, wie auch die Regeln des Umgangs
miteinander. Allen Mitgliedern einer Schule soll die Möglichkeit
gegeben werden, die eigenen Interessen und Bedürfnisse zu entdecken,
zu formulieren und diesen auf verschiedensten Wegen nachzugehen.
Kindheit und Jugend werden verstanden als eigenständige Lebensphase
mit Recht auf Selbstbestimmung, Glück und Zufriedenheit. Verzichtet
wird auf Zwangsmittel zur Disziplinierung, wie die Notengebung.
Stattdessen wird auf Aushandlungsprozesse bei Konflikten und eine
gute Beziehungsarbeit gesetzt.

Und
die Lehrenden?

In
der Praxis steht und fällt das Modell Alternativschule mit den
LehrerInnen, die in ihr arbeiten. Vieles hängt von der Haltung ab,
mit der auf Menschen, Kinder und Jugendliche insbesondere, zugegangen
wird. Wer nicht vertraut und Schüler in jedem Schritt, den sie tun,
nur dokumentieren und kontrollieren will, wird Alternativen nicht
umsetzen, nicht leben können. Eine Schulreform wird demnach nicht
ohne eine Reform der Lehrerausbildung und der darin tradierten
Lehrerrolle auskommen. Einen ersten Beitrag liefert die
Fortbildungsreihe des BfAS „Keine Beziehung ohne Lernen. Kein
Lernen ohne Beziehung“, das kleine Referendariat der
Alternativschulen. Die ca. 100 Alternativschulen führen bisher ein
Nischendasein. Sie werden in kleiner Zahl geduldet und fungieren als
Ideenschmieden. Doch warum sollte das nicht anders sein? Es ist an
der Zeit, wieder mehr zu fordern. Lasst uns die Alternativen zum
Leben erwecken und neue Schulen in großer Zahl gründen. Der Rückzug
ins Private ist bildungspolitisch nicht von Nutzen.

Oliver
Horn

 

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