Keine Ruhe nach dem Streik

Der
verhinderte Generalstreik

Eure
Krise zahlen wir nicht!
, Generalstreik, oder „einfach
nur“ ein Kurswechsel der Wirtschaftspolitik – welches
Leitmotiv die Beschäftigten in Frankreich auf die Straßen bringt,
ist nicht genau zu bestimmen. Fest steht: Ende 2008 verständigten
sich die acht größten Gewerkschaften auf einen gemeinsamen
Streiktag am 29. Januar 2009. Es folgte am 19. März ein weiterer und
die „G8“-Gewerkschaften mobilisieren nun zum Ersten Mai. Die
Apparate zielen auf einen Kurswechsel der Wirtschafts- und
Sozialpolitik, bzw. einen bequemen Sitz am Verhandlungstisch; doch
das Einlenken der Regierung Fillon beschränkt sich aufs Symbolische.

Der
Generalstreik im März legte im Vergleich zum Januar noch einmal zu:
bis zu drei Millionen ArbeiterInnen, insbesondere der
Privatwirtschaft, beteiligten sich. Stärkeren Zulauf hatten vor
allem die Demonstrationen in Paris und Lyon, die sich durch starke
CNT-Beteiligung (hunderte bis tausende TeilnehmerInnen)
auszeichneten.

So
bedeutend die Demonstrationen sein mögen, die Beschränkung auf 24
Stunden amputiert den Streik im Voraus. Zwar lassen es sich viele
Gewerkschaftssektionen und tausende ArbeiterInnen nicht nehmen, im
Windschatten der Aktionstage konkrete Forderungen anzugehen. Die
Nachrichten über Straßenblockaden, Betriebsbesetzungen und die
Festsetzung von Führungskräften reißen nicht ab – doch die
Kämpfe kommen faktisch nicht zusammen. Festzuhalten bleibt: Es gärt
in der französischen Arbeiterklasse. Das sieht im April auch der
Direktor des Institut supérieur du Travail so: „Die Wut ist
nicht von oben gesteuert. Sie kommt direkt aus den Betrieben – und
das ist das Beunruhigende.“ Es ist also kein Ding der
Unmöglichkeit, dass die Arbeiterbewegung in den kommenden Monaten
die Höhen von 1968 oder gar 1936 erklimmt. (AE)

Alles
entzündete sich am Benzin. Dessen Preis war 2008 unaufhörlich
gestiegen; Gewerkschaften und Verbände vermuteten Preisabsprachen.
Daher bildete die Schließung der 115 Tankstellen auf der
Antillen-Insel Guadeloupe den symbolträchtigen Auftakt für einen
veritablen Generalstreik. Der Zeitpunkt, Mitte Januar, hätte kaum
besser gewählt sein können: Neun Tage vor dem Aktionstag auf dem
französischen Festland, mitten in der Touristik-Hochsaison. Zunächst
jedoch fand die Bewegung kaum ein Echo, das über die Karibik
hinausgegangen wäre.

Das
mag man damit erklären, dass die sechs Inseln weit ab liegen und,
gemessen an der Einwohnerzahl, nicht größer sind als Leipzig. Auch
Guadeloupes ökonomische Bedeutung hält sich in Grenzen, das
wirtschaftliche Rückgrat bilden Tourismus und Landwirtschaft, der
größte Wirtschaftssektor ist jedoch der Öffentliche Dienst. Die
Erwerbslosigkeit liegt seit Jahren zwischen 25 und 40 Prozent. Zudem
sind die Löhne niedriger als in Frankreich, die wichtigsten Waren
des täglichen Bedarfs allerdings oft dreimal so teuer wie in in der
„Metropole“.

Einigkeit,
Klarheit und Entschlossenheit

Vielleicht
war aber auch kaum jemandem klar, wie ernst es den ArbeiterInnen in
der Südsee ist. Schließlich ist in Frankreich bereits bei
landesweiten Aktionstagen von Generalstreik die Rede – an einen
unbefristeten Streik denkt da nur eine radikale Minderheit. Auch auf
Guadeloupe hatte es im Dezember 2008 solche Aktionstage gegeben. Den
dortigen Beteiligten war aber klar, dass das nicht reichen würde, um
die Forderungen – insbesondere die Senkung des Benzinpreises –
durchzusetzen. So gewann das formell seit Jahren bestehende Bündnis
Lyannaj kont pwofitasyon (LKP), das „Kollektiv gegen
Ausbeutung“ wirkliche Bedeutung: Die 48 Mitgliedsorganisationen
(neben den Gewerkschaften auch Stadtteil-Initiativen, Umwelt- und
Konsumentenverbände, sogar Karnevalsvereine) verständigten sich auf
146 konkrete Forderungen, die von einer allgemeinen Lohnerhöhung von
200 Euro netto für GeringverdienerInnen über die Preissenkung für
Waren des täglichen Bedarfs bis hin zur Verbesserung von Wohnungsbau
und Bildungswesen reichten, und begannen, den Generalstreik
vorzubereiten.

Hinreichend
mehrheitsfähige Forderungen, doch mediales Interesse regte sich erst
nach gut drei Wochen der Mobilisierung, als die Lage zu eskalieren
drohte. Bis dahin hatten die Unterhändler von Staat und Kapital auf
Zeit gespielt und nur wenigen Forderungen nachgegeben. Die
Streikenden und die LKP jedoch lehnen halbe Sachen ab, und zwar
nachdrücklich: mit Straßensperren. Die „Ordnungskräfte“
greifen ein, gewaltsam und rassistisch pöbelnd. Doch die Bewegung
weitet sich aus – an Demonstrationen beteiligen sich nun fast 20%
der Bevölkerung. Auf der ebenfalls zu Frankreich gehörenden
Nachbarinsel Martinique formiert sich eine ähnliche Bewegung. Das
Innenministerium schickt unterdessen 4.000 Polizeikräfte zur
Verstärkung. Und am 17.2. wird, unter bisher ungeklärten Umständen,
an einer Straßensperre der Gewerkschafter Jacques Bino von der Union
Générale des Travailleurs de Guadeloupe
(CGTG) erschossen. Nun
kommt es auch auf dem Festland zu größeren
Solidaritätsdemonstrationen.

Rekordverdächtig:
44 Tage Generalstreik

Die
LKP vereint zwar alle Gewerkschaften, darunter auch die Ableger der
Metropole. Zentraler Faktor aber war die unabhängige UGTG. Sie gab
dem Bündnis sein Gepräge, dieser Mélange aus gewerkschaftlicher
Brot-und-Butter-Politik und antikolonialem Kulturkampf. Und es
dürften nicht zuletzt die Erfahrungen der UGTG-Militanten gewesen
sein, die die Standhaftigkeit der LKP überhaupt erst denkbar
machten. Stets waren ihre Mitglieder, infolge von Massen- und
direkten Aktionen, mit Entlassung und Verhaftung konfrontiert. Erst
1997 wurde sie als repräsentativ anerkannt und ist heute die größte
Gewerkschaft auf Guadeloupe – seither hagelt es Geldbußen, auch
eine Form antigewerkschaftlicher Repression.

Straßenblockade während dem Generalstreik. Quelle: ugtg.org

Die
Verhandlungen über die Forderungen der LKP scheiterten bis Ende
Februar an zwei Faktoren: Dem Nein des Unternehmerverbands MEDEF zur
Lohnerhöhung und dem Beharren der LKP, eben diese 200 Euro als
Lohnerhöhung zu erhalten und nicht als Stütze in Form staatlicher
Lohnzuschüsse. Doch ohne MEDEF ging es auch: Mit der Unterzeichnung
eines Rahmenabkommens Anfang März – Preissenkung und Lohnerhöhung
sofort, sowie vertiefte Verhandlung der übrigen Forderungen –
wurde der Generalstreik ausgesetzt. Die Betriebe, die das Abkommen
nicht unterzeichnet hatten, wurden und werden weiterhin bestreikt.
Ausläufer der Bewegung halten sich auch dort, wo die ArbeiterInnen
zusätzliche Forderungen (z.B. Bezahlung der Streiktage) aufstellten.
Schließlich geben bis Mitte April auch die meisten der
MEDEF-Mitglieder nach und beugen sich dem Druck der ArbeiterInnen.

Um
eine Erfahrung reicher

In
der LKP ist es gelungen, eine Aktionseinheit verschiedener
Organisationen herzustellen. In regelmäßigen Streikversammlungen
und der öffentlichen Live-Übertragung der Verhandlungen offenbarte
dieser Ansatz auch hier seine egalitären Züge. Nach der
Wiederaufnahme der Arbeit wird sich in den kommenden Monaten
erweisen, wie tiefgreifend die gesellschaftlichen Veränderungen in
diesem „kleinen Land“ ohne dezidiert syndikalistische Struktur
sind. Immerhin ist davon auch abhängig, ob die LKP im Juli in der
Lage sein wird, den Generalstreik fortzuführen, sollten die
Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen. Aber alles deutet auf eine
Fortsetzung des konfrontativen Kurses hin: So lehnte es die LKP Mitte
April ab, an den von Sarkozy einberufenen „Generalständen“
teilzunehmen. Damit zeigt sie dem Präsidenten die kalte Schulter und
demonstriert eine Stärke und ein Selbstvertrauen wie es nur wenige
Gewerkschaften in Frankreich tun.

Ein
LKP-Sprecher erklärte gegenüber der Direkten Aktion die
Einzigartigkeit der Bewegung auf Guadeloupe so: Anderswo sind „die
Arbeiter, die Beschäftigten nicht bereit, aufzustehen“ – das ist
alles.

André
Eisenstein
(STICS13 – CNT), Marseille

Zitat:
LKP-Sprecher und UGTG-Mitglied Domota: „Gewisse Leute haben die
Kaufkraft zum Wahlversprechen, wir aber haben sie wahr gemacht.“
[4.3.09]

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