Kolumne Durruti

Meine
Mama ist hochkatholisch! Und jetzt das erste Mal nach über 35 Jahren
in der Nachtschicht im katholischen Krankenhaus um die Ecke ist sie
arbeitslos, weil man sie wieder in der Tagschicht einsetzen wollte.
Aber das hat ihr Schlafrhythmus nicht mehr mitgemacht. Ihr Schlaf ist
so leicht wie eine Feder. Wenn ich alkoholisiert und jugendlich des
Samstag nachts ins Haus schlich, wusste sie nicht nur die genaue
Uhrzeit, sondern auch den Alkohol in meinem Blut auf ein Bier genau
zu bestimmen. So leicht. Sie hat den Chef verklagt und verloren.
Jetzt bleibt ihr immer noch die Religion. Da ist kein Zweifel
reinzukriegen in diesen geschundenen Körper. Der christliche
Arbeitsethos bis zum Verrecken. Meine Mama ist so katholisch, dass
ihr etwas anderes als Obrigkeitshörigkeit in religiösen wie in
marktwirtschaftlichen Dingen nicht in die Tüte oder den Sinn kommt.
“Wer arbeiten will, der findet auch was” an dem Punkt haben wir
früher viel diskutiert. Die Zusammenhänge von industriellem
Fortschritt, Mehrwert, Personalkosten und Arbeitslosigkeit waren ihr
immer schleierhaft. Bei mir waren es Rosenkränze, Kirchen und Gott.

Also
kein Zweifel und ungebremster Glaube in die soziale Marktwirtschaft
bis zu Peter und den Herrn Hartzgesetzen. Peter ist 26 und ihr
Casemanager. Mama ist von der alten Schule. Die euphimistische
Agentur für Arbeit, das protzige Glasgebäude in der Stadtmitte,
heißt bei ihr immer noch Arbeitsamt und mit ihrem Casemanager weiß
sie vom Begriff her erstmal nichts anzufangen. Erst ist Peter auch
recht freundlich, lobt ihre Berufserfahrung und so fort, aber schon
nach dem dritten Termin und keinem rechten Job für meine Mama (alles
Tagschicht, zu viele Stunden. Mama will wegen der angeschlagenen
Gesundheit wieder geringfügig beschäftigt sein) wird Peter
ungemütlich. “Hören Sie gute Frau das ist ja hier kein
Wunschkonzert. Entweder Sie nehmen bald mal einen Job an oder wir
kürzen Ihre Bezüge”, droht er. Aber da hat der Peter die Rechnung
ohne den Wirt gemacht, bzw. ohne den geballten Zorn Gottes. “Jetzt
hör mir mal zu, Jungchen”, schallt es ihm entgegen. Schon bei
‘Jungchen’, als sie mir später am Telefon berichtet, johle ich
triumphierend. Denn ich weiß, was jetzt kommt: die Standpauke! Peter
weiß es nicht. “Ich habe 35 Jahre den Buckel für dieses Land
krumgemacht, habe vier Kinder geboren, habe nie aufgehört zu
arbeiten…” Man hört Peters Kinnlade klappen. “Wie alt bist du
eigentlich? Du könntest mein Sohn sein, oder? Was weißt du schon?
Was willst du mir schon erzählen vom Leben? ”, pumpt meine Mama
unaufhörlich rhetorische Fragen in Peters Anzug und in Peter selbst,
nicht ohne auf die Schwierigkeit von Kindererziehung und Beruf noch
ausführlicher einzugehen. Peter verkriecht sich derweil in seinem
Drehstuhl. Mamas wütendes Gesicht spiegelt sich in der Glasfront
hinter ihm. Sie ist derweil aufgestanden. Peter ist zusammengesackt
und schickt sie nach Hause.

Hat
Peter da etwa eine schlafende Hündin geweckt? Sind die Katholiken
womöglich die neue Wunderwaffe im Arbeitslosenwiderstand? Meine
Telefonate mit Mama klingen jedenfalls jetzt ganz anders. Sie spricht
auch nicht mehr so viel von Glauben, sondern mehr von was tun. Sie
nimmt jetzt immer ihre Freundin mit zum Amt. Das macht schon zwei
Katholiken gegen einen Anzugvogel. Aber auch Peter hat nachgerüstet
und will jetzt immer den Abteilungsleiter bei den Gesprächen dabei
haben… Dranbleiben, Mama!

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