Geschlossene Gesellschaft im Club der Eitelkeiten

da-Nr-196-Kultur-linke-Seite-unten-von-der.jpgIm Rahmen der
Veranstaltungen zum 20-jährigen Geburtstag des besetzten autonomen
Zentrums Rote Flora in Hamburg organisierte die Gruppe
Kritikmaximierung eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kunst,
Avantgarde und gesellschaftliche Emanzipation“. Eigentlich perfekt
für den 4. Teil der kulturkritischen Diskussion in der DA…

Hoch waren die
Erwartungen an diesen Tag. 20 Jahre Rote Flora,
ein Polit- und Kulturzentrum, das in der Debatte um Subkultur und
Gentrifikation eine Vorreiterrolle einnimmt; endlich mal eine
kulturkritische Diskussion vor breitem Publikum; und dann noch das
Tocotronic-Konzert im Anschluss. Drei Stunden nach Betreten der Flora
war diese Vorfreude einer Katerstimmung aus Kopfschmerzen und
plötzlicher Müdigkeit gewichen; auch Tofu-Burger und Bier konnten
hier kaum noch Abhilfe schaffen.

Kritik als
Selbstbeweihräucherung

Das Konzept der
Podiumsdiskussion war im Prinzip recht gut gedacht: Vier
Kulturschaffende aus unterschiedlichen Bereichen mit
unterschiedlichen Positionen gegeneinander antreten zu lassen, und
das alles unter Einbindung des Publikums. Eingeladen waren Till
Gathmann (Künstler, Leipzig), Rosa Perutz
(antinationale Organisierung in der Kunst), Kerstin
Stakemeier (Kunsthistorikerin, Berlin) sowie Autor und
Filmemacher Stephan Geene (b_books, Berlin). Nach
ihren Eingangsstatements, die meist eher einer Vergewisserung der
eigenen rhetorischen Fähigkeiten als einer tatsächlichen
thematischen Positionierung glichen, entspann sich eine
haarsträubende Diskussion um ‚Form und Inhalt’ von Kunst. Ist es
legitim, mit der bürgerlichen Ästhetik zu brechen? Ist Kritik an
Hochkultur nicht per se rückwärtsgewandt? Kann ein Mensch, der
nicht Chopin hört, überhaupt Kunstkritik äußern? Als Avantgarde
setzten sich ReferentInnen und Publikum an diesem Abend selbst. Nicht
ein einziges Mal wurde die eigene Stellung, geschweige denn die
Funktion von Kunst in der Gesellschaft reflektiert. Künstlerische
Tätigkeit und die Fähigkeit, darüber elaboriert debattieren zu
können, galten anscheinend für sich schon als Ausdruck
gesellschaftlichen Fortschritts. Und so konstruierte sich eine stolze
‚Bildungsoberschicht’ ihren Status, indem sie Belanglosigkeiten
aus dem Kunststudium austauschte.

Des Pudels Kern

Allein von Seiten der
Gruppe Rosa Perutz wurde im Laufe der Diskussion daran erinnert, dass
es sich bei dem Ganzen doch um eine linksradikale Veranstaltung
handeln sollte. Doch auch dieser Hinweis vermochte nicht, einen Bezug
zur Realität oder gar zu einer eventuellen kunstpolitischen Praxis
in die so genannte Diskussion zu bringen. Vielmehr trafen diejenigen
ReferentInnen den richtigen Publikums-Ton, die sich am deutlichsten
von jeglichen linken Umtrieben distanzierten. Der
gesellschaftskritische Anspruch verkam zu einer Abrechnung mit
linksradikaler Kultur und Praxis. Dies ist selbstverständlich mehr
als legitim; da jedoch die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge
komplett ausgeblendet wurden, erschien solch ein Ansinnen mehr wie
ein snobistisches Naserümpfen denn als ernst gemeinte, geschweige
denn konstruktive Kritik. Denn tatsächlich ging es doch an diesem
Abend nie um „gesellschaftliche Emanzipation“. Die Frage, ob eine
Kritik oder Ablehnung bürgerlicher Hochkultur nicht in Wirklichkeit
reaktionär sei, offenbarte das tatsächliche Thema: Die
Zurückweisung von Kapitalismuskritik und Fundamentalopposition als
veraltete, verkürzte und im Kern anti-aufklärerische Gesinnung.

Ein Kommentar von
Justus Janses

Siehe auch die vorangegangenen Beiträge der DA-Kulturdiskussion:

 




 

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