Hauptsache billig!

Als der
Bremer Pflegedienstleister McPflege am 1. August 2007 mit dem Angebot
startete, bundesweit Pflegekräfte aus Osteuropa für eine
24-Stunden-Betreuung ab zwei Euro die Stunde vermitteln zu wollen,
schrie die gesamte Branche auf. Als „moderne Sklaverei“ und
„sittenwidrige Löhne“ verurteilten etablierte Pflegedienste und
Verbände derartige Praktiken. Nach zehn Tagen wurde der Betrieb
wieder eingestellt. „Projekt beendet, gesellschaftspolitische
Diskussion in Deutschland angestoßen“, hieß es am 10. August auf
der Homepage des Billig-Anbieters.

Verständnisvolle
Töne

Aber längst
nicht alle Konkurrenten hatten mit eingestimmt in den Chor der
Empörung. Auch aus den Reihen der großen Wohlfahrtsverbände gab es
verhaltenere Reaktionen. Etwa von den Paritätischen Pflegediensten
Bremen, deren Geschäftsführer Wolfgang Müller der Tageszeitung
„taz“ gestand, selbst Überlegungen anzustellen, auf dem Gebiet
der Rund-um-die-Uhr-Betreuung tätig zu werden. Die Löhne für die
osteuropäischen Arbeiterinnen bei McPflege fände er „nicht so
schlimm“. Das sei immer noch besser als Schwarzarbeit. „Dafür
hat man ja die Osterweiterung, dass das möglich wird.“

Das
Mindeste

Skeptisch
stand der Paritätische Wohlfahrtsverband bis zuletzt auch der
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in der Pflege gegenüber.
Der Paritätische ist nach den konfessionellen der drittgrößte
Anbieter in Deutschland. Insgesamt arbeiten bundesweit rund 600.000
Beschäftigte in der Branche Altenpflege und Pflegedienste. Für den
katholischen Deutschen Caritasverband und die evangelische Diakonie
sind in einigen Bundesländern allein knapp die Hälfte aller
Pflegenden tätig. Die beiden Branchenführer bezogen als einzige
Wohlfahrtsverbände offen Stellung gegen den Mindestlohn. Sie
konterten mit der Behauptung, sie würden längst mehr als das
Geforderte zahlen. Während sie sich gegen staatliche Eingriffe in
ihre verfassungsmäßig verbriefte Autonomie verwahrten, sprach der
Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) von
„staatlichem Lohndiktat“. Mittlerweile sitzen Arbeitnehmer- und
Arbeitgebervertreter der kirchlichen wie nichtkirchlichen
Pflegeanbieter in einer achtköpfigen Kommission zusammen, um über
verbindliche Lohnuntergrenzen zu verhandeln. Der Bundesrat hatte im
Februar u.a. die Aufnahme der Pflegebranche in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz beschlossen und damit die Voraussetzungen
zur Einführung eines Mindestlohns geschaffen.

Dumping

Dass
Beschäftigte in der Altenpflege und in der ambulanten Krankenpflege
mit Dumpinglöhnen abgespeist werden, ist längst zur Regel geworden.
Nach Untersuchungen des Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK)
arbeitet etwa jede dritte Pflegekraft für sittenwidrige Löhne. So
zahlen private Anbieter ambulant tätigen Pflegekräften in
Mecklenburg-Vorpommern Stundenlöhne von lediglich vier Euro. In
Westdeutschland und Berlin lägen die Sätze bei 5,50 bis 6,50 Euro.
Die Wohlfahrtsverbände und kommunalen Anbieter verweisen auf den
Wettbewerbsdruck, der sie dazu zwinge. Doch die vermeintlichen Hirten
entpuppen sich selbst als schwarze Schafe. Ausgerechnet unter
Federführung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) hatten Deutsches Rotes
Kreuz, Volkssolidarität, Arbeitersamariterbund und die Vereinigung
der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) die Aufnahme ins
Entsendegesetz beantragt – sekundiert von ver.di. Die AWO fordert
statt der 7,50 Euro des DGB sogar einen Mindestlohn um die 10 Euro.

Die Scheinheiligen

Was anmutet
wie das Spiel „guter Boss – böser Boss“, ist verlogen. Alle
Verbände profitieren von unentlohnter oder geringfügig bezahlter
Arbeit und Zwangsdiensten, von Leiharbeit, Praktika, „Ehrenamt“,
Zivildienst, Ein-Euro-Jobs, Straffälligen, die ihre Sozialstunden
ableisten müssen. Total „sozial“ hatten sich Spitzenvertreter
von AWO, DRK, Diakonischem Werk (DW) sowie Städte- und Gemeindebund
noch im Mai 2006 für weitere Einschnitte beim Hartz-IV-Bezug stark
gemacht. Zwei Monate zuvor hatte DW-Präsident Jürgen Gohde der
Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erklärt, wie die Kirchlichen dem
grassierenden Nachwuchsmangel in der Altenpflege begegnen wollen:
„Ich hielte es für eine große Chance, wenn hier zusätzliche
Leistungen im Rahmen von Hartz IV unterstützt werden.“ Sämtliche
Wohlfahrtsverbände haben sich nicht zuletzt durch Tarifflucht einen
zweifelhaften Ruf erworben. Etwa die AWO in Sachsen, die Ende 2006
einen Tarifvertrag mit ver.di kündigte, um kurz darauf einen neuen
mit der gelben christlichen Gewerkschaft „Deutscher Handels- und
Industrieangestelltenverband“ (DHV) abzuschließen.

Die Crux
der Mindestlöhne

Zu
befürchten ist, dass der Mindestlohn künftig zum Maßstab der
Kostenübernahme durch die Kranken- und Pflegekassen wird. Das Niveau
der derzeit noch besser zahlenden Verbände wäre dann auch nicht
mehr zu halten. Der Mindestlohn würde keinen Schutzwall gegen den
Unterbietungswettbewerb darstellen, sondern zum Regellohn verkommen
und hätte sich damit ins Gegenteil verkehrt: zum Mittel der
Lohnabsenkung.

Mit dem
Pflege-Weiterentwicklungsgesetz von 2008 wurde die
Zulassungsvoraussetzung für Pflegeheime längst erweitert:
Pflegekräfte müssen künftig nach den ortsüblichen Vergütungen
entlohnt werden. Dies ist auch Voraussetzung für die
Aufrechterhaltung ihrer Zulassung.

Deshalb wäre
es vielmehr an der Zeit, den Fachkräftemangel in der Pflege zu
nutzen, sich zu organisieren und den Preis und die Arbeitsbedingungen
im Kampf zu verhandeln. Das hätte Auswirkungen auf die gesamte
Pflegebranche. Die Mindestlohn-Debatte ist dagegen eine
Schein-Debatte.

Nandor Pouget (GGB
Hannover)

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