„Der Kampf lohnt sich“

ozzip1.jpgIn den letzten Ausgaben der DA haben wir mehrere
der größeren (anarcho)syndikalistischen Gewerkschaften vorgestellt.
Die polnische Basisgewerkschaft IP kann nicht wie die spanische CNT,
die italienische USI, die schwedische SAC oder die IWW auf eine
jahrzehntelange Geschichte verweisen. Trotzdem ist die sie in den
letzten Jahren stark gewachsen, hat zahlreiche Arbeitskämpfe geführt
und Verbesserungen für ihre Mitglieder erkämpft. Wir haben mit
Jarek, der die Gewerkschaft mitgegründet hat, über die Arbeit der
IP, ihre Kämpfe und Perspektiven gesprochen.

Die IP hat schon einiges erreicht, obwohl sie erst
seit wenigen Jahren existiert. Wie kam es zu ihrer Gründung?

2001, im Jahr der globalen
Wirtschaftskrise, kam es in Polen zu einem drastischen Anstieg der
Erwerbslosenquote, die 2002 auf 20 % anstieg. Es kam in ganz Polen zu
einer Welle von Demonstrationen, die allerdings nicht von den
Gewerkschaften initiiert wurden, sondern von verschiedenen anderen
Gruppen und Initiativen. Bei den Protesten ging es unter anderem
darum, eine Lockerung des Arbeitsrechts zu verhindern. Dabei fand
sich auch eine kleine Gruppe von Leuten aus verschiedenen Teilen
Polens zusammen, die sich als ArbeiterInneninitiative innerhalb der
1989 gegründeten Anarchistischen Föderation (Federacja
Anarchistyczna – Inicjatywa Pracownicza, FA-IP) konstituierte und an
der Organisation dieser Demonstrationen beteiligte. Eine Gewerkschaft
war die ArbeiterInneninitiative zu dieser Zeit noch nicht, das war
anfänglich auch gar nicht unbedingt die Absicht gewesen. Die
Initiative zu einer Gewerkschaftsgründung kam erst 2004 und ging von
ArbeiterInnen aus den Motoren- und Maschinenbauwerken H.Cegielski in
Poznań aus. Dort hatten Mitglieder der damaligen IP die
ArbeiterInnen schon seit längerem in ihren Protesten gegen
Massenentlassungen unterstützt. So kam es zur Gründung der IP unter
der Bezeichnung Gesamtpolnische Gewerkschaft ArbeiterInneninitiative
(Ogólnopolski Związek Zawodowy Inicjatywa Pracownicza, OZZIP).

Wie viele Mitglieder habt ihr denn aktuell?

Es sind jetzt ca. 850 in ganz Polen. Es gibt aber
auch viele informelle Mitglieder und SympathisantInnen, die sich an
Aktionen beteiligen, aber nicht offizielle Mitglieder sind. Neue
Leute kommen oft stoßweise in Krisenzeiten.

Und was für Leute organisieren sich in der IP?

Das sind ArbeiterInnen aus den verschiedensten
Branchen: MetallarbeiterInnen, wie die Leute aus dem Cegielski-Werk,
aber auch KrankenpflegerInnen, oder Menschen, die in den riesigen
Supermärkten arbeiten, die hier überall aus dem Boden gestampft
werden. Wir haben auch gerade einen Konflikt in der Holzindustrie, in
einem Werk, das Fußbodenbeläge herstellt. Dort arbeiten nur Frauen,
die härteste Arbeit verrichten, und das ohne den geringsten
Arbeitsschutz. Da muss man um die grundlegendsten Dinge kämpfen.

In Polen wird derzeit aber auch um Lohnerhöhungen
gekämpft. Wie würdest du die Tendenz eurer aktuellen Kämpfe
beschreiben?

Gekämpft wird manchmal um ganz schlichte Dinge,
beispielsweise die Einhaltung des Arbeitsschutzes, wie in der
Bodenbelagsfabrik, andererseits aber auch um Lohnerhöhungen und
Lohnanpassungen an die signifikant steigenden Lebenshaltungskosten.
Bei Cegielski zum Beispiel konnten nach harten Verhandlungen und
einer Welle wilder Streiks Lohnerhöhungen in Höhe von 700 Zloty
(rund 170 €) durchgesetzt werden. Diese Kämpfe sind von der
Tendenz her offensiv. Es gibt aber auch defensive Kämpfe gegen
Entlassungen oder gar Werksschließungen, wie z. B. 2003 in Łodz, wo
die Bekleidungsfirma Uniontex Insolvenz angemeldet hatte und das Werk
abgewickelt werden sollte. Hier hat die IP versucht, die gegen die
Werksschließung kämpfende Belegschaft zu unterstützen. Uniontex
wurde schließlich in eine Anteilseignergesellschaft [2] umgewandelt,
an der zumindest ein Teil der Belegschaft beteiligt wurde. Die
IP-Miglieder gründeten daraufhin eine betriebliche Organisation im
Werk [3]. Allerdings wurde den IP-Mitgliedern nach einem Jahr
rechtswidrig gekündigt. Das Werk wurde später aufgrund finanzieller
Schwierigkeiten endgültig abgewickelt und geschlossen.

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Eine zentrale Strategie, die wir verfolgen, um
solche Entwicklungen zu vermeiden, ist der Aufbau kollektiver
Strukturen anstatt der weiteren Privatisierung. So kämpfen
beispielsweise MitarbeiterInnen der Psychiatrie in Bielsko-Biała um
bessere Löhne und Arbeitsbedingungen und verbinden diesen Kampf mit
dem Ziel, den Betrieb zu kollektivieren. Wichtig ist es vor allem,
dass man nicht reaktiv, sondern initiativ vorgeht.

Was heißt das konkret? Wie kämpft ihr um eure
Forderungen?

Die Art, wie gekämpft wird, bestimmen die
Kämpfenden selbst. Sie gehen z.B. in einer kleinen Gruppe zur
Geschäftsführung oder einem/einer zuständigen städtischen
Abgeordneten und verlangen das Gespräch. Je nach Verlauf kommt man
dann natürlich wieder vorbei, diesmal schon mit ein paar mehr
Leuten, und so kann sich das hochschaukeln. Die Presse zeigt sich
hier in Polen sehr interessiert, und es hat sich als gut erwiesen,
dass wir nicht mit schicken Fahnen herumstehen. Das würde die Presse
dazu verleiten, schnell ein paar gute Bilder zu machen und wieder zu
verschwinden. So aber ist sie gezwungen, sich mit den Leuten zu
unterhalten, was zu einem viel

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nachhaltigeren Verständnis der
Situation in der Öffentlichkeit führt. Neben dem Gespräch und der
offensiven Öffentlichkeit sind aber natürlich auch Streiks ein
wichtiges Arbeitskampfmittel. 2006 kam es in den Cegielski-Werken zu
einer von der IP initiierten Urabstimmung über einen Streik für
Lohnerhöhungen, die jedoch wegen zu geringer Beteiligung (42%)
ungültig war, obwohl in absoluten Zahlen 640 von 1600 Beschäftigten
für Streik stimmten. Nachdem fast ein Jahr später dann hinter
verschlossenen Türen ein Abkommen über eine Lohnerhöhung von 140
Zloty ausgehandelt wurde, haben wir uns geweigert, dies anzunehmen
und haben zu offenen Verhandlungen auch mit der Basis aufgerufen.
Zwischen März 2007 und April 2008 kam es dann zu mehreren wilden
Streiks in Form von Kurzniederlegungen der Arbeit zwischen 20 Minuten
und drei Stunden und einem kollektiv genommenen „Urlaubstag“, an
dem sich fast 90% der Belegschaft beteiligte. Die Leute kamen dann
statt zur Arbeit zu einer großen Kundgebung vor dem Büro der
Geschäftsführung. Auf diesem Weg konnten schließlich
Lohnerhöhungen um 700 Zloty durchgesetzt werden. Aber der Kampf ist
hier leider nicht beendet, denn auch im Falle der Cegielski-Werke
wird schon längst über die Privatisierung verhandelt. Natürlich
hinter dem Rücken der ArbeiterInnen. Auch hier ist es das Ziel
unserer Aktivitäten, eine für die ArbeiterInnen gute Form der
Vergesellschaftung des Werkes zu erreichen. Wir prüfen derzeit die
Möglichkeit, eine Genossenschaft zu bilden.

Inzwischen habt ihr bei Cegielski ja auch mit Marcel
Szary einen IP-Genossen in der Geschäftsführung [1]. Wie verhält
sich das zu eurem anarchosyndikalistischen Selbstverständnis?

Die IP ist eine Gewerkschaft, die sich entschieden
als Basisgewerkschaft versteht. Dass Marcel Szary, der sich schon
seit langem schon für die Belange der WerksarbeiterInnen bei
Cegielski einsetzt und nach einigen Gewerkschaftswechseln schließlich
bei der IP gelandet ist, als Vertreter der Belegschaft in der
Geschäftsführung sitzt, ist unter anarchosyndikalistischem
Gesichtspunkt natürlich sehr streitbar. Es ist aber eine
Entscheidung, die für uns tragbar ist.

Auch was das Auftreten nach außen angeht, verhalten
wir uns nicht so eindeutig, was vielleicht auch irritiert: wir tragen
nämlich bewusst keine rot-schwarze Symbolik vor uns her, da wir
wollen, dass die Leute selbst herausfinden, wie sie kämpfen wollen –
wir unterstützen sie darin. Es geht also nicht darum, irgendein
Wiedererkennungszeichen an möglichst vielen Stellen und Kontexten zu
platzieren, sondern um die alltägliche Solidarität mit den
ArbeiterInnen. Und das läuft sehr gut. Die Leute kommen auf uns zu,
wenn sie Probleme auf der Arbeit haben. Und dann wird überlegt, was
man tun kann. Oft spricht sich so ein Arbeitskampf in der Familie
oder im Bekanntenkreis herum, und die Verwandten und Freunde kommen
dann auch.

International hat euch ja unter anderem der Streik
der PostbotInnen 2006 bekannt gemacht, mit dem ihr oft in Verbindung
gebracht worden seid, obwohl der nicht von der IP initiiert wurde…

Wir unterstützen auch Streiks oder Initiativen, die
nicht aus der IP heraus organisiert werden. Ein solcher Fall war der
wilde Streik der Postboten an Weihnachten 2006. Hier kam der
Initiator zwar aus dem Umfeld der IP, die landesweite Streikwelle,
die überall Postämter erfasste, ging allein von den
Post-Beschäftigten aus: sie war ebenso spontan wie unkontrollierbar
– für alle Beteiligten. Die IP hat versucht, Kontakte zwischen den
Streikenden herzustellen und ein gemeinsames Treffen der
Poststreik-Aktivistinnen organisiert. Schließlich hatte die
Solidarnosc die Verhandlungen mit der Generaldirektion aufgenommen.
Die Forderungen nach höheren Löhnen und geregelten Arbeitszeiten
sind nicht erfüllt worden [4].

Ein spezifisch polnisches Problem ist bekanntlich
auch, dass viele unter sehr prekären Bedingungen im Ausland
arbeiten, gerade in der Saisonarbeit [5]. Seid ihr auch international
aktiv?

In unserer Gründungsphase haben wir eine
Infokampagne für polnische Saisonarbeiter im europäischen Ausland
gestartet. Die wurde jedoch sehr unterschiedlich aufgenommen: In
Deutschland ist überhaupt nichts passiert, in Irland dagegen kam es
zu einem Arbeitskampf eines Zeitarbeiters bei der Supermarktkette
Tesco [6]. Insgesamt liegt unser Arbeitsschwerpunkt aber,
mit Ausnahme der damaligen Kampagne für die Rechte der
SaisonarbeiterInnen, auf der Situation in Polen. Wir können nicht
alles gleichzeitig stemmen und müssen Prioritäten setzten.

Polen hat ja im Vergleich zur BRD eine wesentlich
vielfältigere Gewerkschaftslandschaft. Ist das für eure Kämpfe
vorteilhaft?

Ja, es gibt in Polen die durchaus auch vorteilhafte
Situation, dass es sehr viele gewerkschaftliche Vereinigungen gibt,
wie z.B. die sehr kämpferische Sierpień 80 (August 80, dazu siehe
auch DA 190) und die ebenfalls anarchosyndikalistische ZSP.
Diese Organisationen beginnen auch Kampagnen und Kämpfe, die wir im
Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen, und anders herum.
Natürlich wird das auch kontrovers diskutiert, aber grundsätzlich
bewerten wir diese Vielfalt, anders als das z.B. in Deutschland der
Fall ist, eher als positiv. Trotzdem gibt es auch in Polen Probleme
mit den großen staatsnahen Gewerkschaften, denen die zunehmende
Stärke und Agilität der Kleinen nicht gefällt, und die ganz im
Sinne der Aufrechterhaltung des Status quo versuchen, die Macht der
kleinen Gewerkschaften nicht wachsen zu lassen.

Wie schätzt du die aktuelle Situation der IP ein? –
wie geht es weiter?

Wichtig und schön ist, dass wir, selbst wenn nicht
alle Auseinandersetzungen gewonnen werden können, ständig Erfahrung
sammeln. Leute, die Arbeitskämpfe initiiert haben und deshalb ihren
Job verlieren, finden häufig einen neuen, manchmal sogar besseren
Arbeitsplatz und scheuen sich nicht, wieder zu uns zu kommen und zu
kämpfen, wenn dort erneut Probleme auftauchen. Das ist ein ganz
wichtiger Lernprozess: Es lohnt sich zu kämpfen; und wirklich
verlieren kann man nichts, außer den ohnehin miesen Arbeitsplatz.
Generell ist es natürlich sehr wichtig, dass versucht wird, die
Leute in gerichtlichen Auseinandersetzungen oder in Phasen der
Erwerbslosigkeit solidarisch zu unterstützen. Das ist zwar nicht
ganz einfach und auch nicht immer möglich, aber eine wichtige
Aufgabe, welche die Gewerkschaft übernehmen muss.

Perspektivisch wünsche ich mir, dass wir die
Projekte, die wir angefangen haben, weiter voranbringen. Dazu gehört
unter anderem die Übernahme von Betrieben durch die Beschäftigten.
Das forcieren wir ja bereits, allerdings haben wie es noch lange
nicht erreicht. Ich glaube, dass es in den nächsten Jahren einen
weiteren Anstieg von Arbeitskämpfen Aktivitäten geben wird. Da gibt
es zumindest in Polen eine gewisse Regelmäßigkeit in
Zehnjahreszyklen. Ich sehe unseren zukünftigen Kämpfen also mit
Neugierde entgegen.

Interview: Linde Müller

Anmerkungen

[1] In Polen gilt in staatseigenen Betrieben wie
Cegielski ein Mitbestimmungsmodell, das den Beschäftigten einen Sitz
in der Geschäftsführung zugesteht. Marcel Szary wurde bereits 2006
mit 62% der Stimmen der Belegschaft in das Amt gewählt, im März
2009 kam er auf 72% der Stimmen. Im Sommer 2009 wurde er wegen
Aufruf zu wilden Streiks verurteilt.

[2] Laut dem polnischen Privatisierungsgesetz von
1996 hat die Belegschaft bei bestimmten Privatisierungen einen
Anspruch auf 15% der Firmenanteile. Problematisch bei Uniontex war,
dass nur eine relativ kleine Gruppe von vor dem Konkurs Beschäftigten
Anteilseigner wurde, während andere keine Anteile bekamen.

[3] In Polen wird generell von einer „betrieblichen
Organisation“ gesprochen, welche formal vergleichbar mit einer
Betriebsgruppe ist. Gewerkschaften sind in Polen, juristisch gesehen,
betriebliche Organisationen, die sich zu landesweiten Verbänden
zusammenschließen.

[4] Zum Streik bei der polnischen Post siehe:
http://www.wildcat-www.de/wildcat/78/w78_polen.htm

[5] Siehe auch Sklavenhandel 2.0 in der Direkten Aktion 193.

[6] Zum Arbeitskampf bei Tesco siehe:
http://www.wildcat-www.de/wildcat/74/w74_picking.htm

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