Länger atmen lohnt sich

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In den
letzten Monaten gab es weltweit eine erneute Welle von Arbeitskämpfen
und Fabrikbesetzungen. Die Kämpfe bei Ssangyong in Südkorea, bei
Ford-Visteon (siehe DA194) und Vestas in England sowie in zahlreichen
französischen Fabriken haben für Aufsehen gesorgt. Einer der
langwierigsten dieser Konflikte war die Besetzung der
Maschinenbaufabrik INNSE in Mailand, die am 12. August mit
langjährigen Beschäftigungsgarantien für alle kämpfenden Arbeiter
endete.

Die in den
30er Jahren gegründete Fabrik war erst 2006 an den Turiner
Spekulanten Silvano Genta weit unter Wert verkauft worden. Dabei
nutzte Genta ein unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Romano
Prodi verabschiedetes Gesetz aus, das den Verkauf in finanzielle
Schwierigkeiten geratener Betriebe zu sehr niedrigen Preisen fördert,
unter der Bedingung, dass die neuen Besitzer die Produktion
fortsetzen, die Belegschaft beibehalten und Investitionen tätigen.
Die Pläne Gentas und des Besitzers des Werksgeländes sahen
allerdings anders aus. Am 31. Mai 2008 kündigte Genta den 50
Arbeitern, um die Fabrik zu schließen und die Maschinen
gewinnbringend zu verkaufen. Da es in Italien de facto kein
Arbeitslosengeld gibt, kann der Verlust des Arbeitsplatzes die
Betroffenen schnell in extreme Armut, bis hin zur Obdachlosigkeit,
stürzen.

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Die Arbeiter
ließen sich die Abwicklung ihres Betriebes, in dem einige schon seit
30 Jahren arbeiten, nicht gefallen. Sie besetzten kurzerhand die
Fabrik und nahmen am 3. Juni die Produktion wieder auf. Genta
versuchte seinerseits die Räumung der Fabrik zu erwirken, was im
Morgengrauen des 17. September erfolgreich schien, als Polizisten und
Carabinieri in die Werkshalle eindrangen, die Arbeiter aus der Fabrik
warfen und der Frühschicht den Zutritt verwehrten. Das bedeutete
jedoch nicht das Ende des Kampfes. Die Arbeiter errichteten mit der
Unterstützung von AnwohnerInnen, Studierenden und AktivistInnen aus
Mailands sozialen Zentren ein Camp vor der Fabrik, um den Eingang zu
versperren. Die nächsten Monate waren von zähen
Auseinandersetzungen mit Gerichten, dem Fabrikbesitzer, potentiellen
Investoren und nicht zuletzt der Polizei gezeichnet. So wurden bei
einem Angriff der Polizei im Februar 2009 einige AktivistInnen
verletzt, die Blockade konnte aber nicht durchbrochen werden. Vor
allem die breite öffentliche Unterstützung und die große mediale
Aufmerksamkeit hielten die Polizei von einem brutaleren Vorgehen
gegen die BesetzerInnen ab. Ebenfalls im Februar starb ein
50-jähriger Arbeiter an einem Herzinfarkt, wahrscheinlich durch
Stress und Überlastung infolge des Kampfes. Die ArbeiterInnen gaben
aber trotzdem nicht auf.

Eine Räumung
wurde immer wahrscheinlicher. Trotz des Versprechens der
lombardischen Regionalregierung, dass im August 2009 keine Räumung
stattfinden würde, verschaffte sich am 2. August ein großes
Aufgebot der Polizei und Carabinieri Zutritt zur Fabrik, um den
Abtransport der Maschinen, von denen einige bereits verkauft worden
waren, zu ermöglichen. Doch kurz darauf drangen vier INNSE-Arbeiter
mit einem Funktionär der Metallarbeitergewerkschaft FIOM in die
Werkshalle ein und besetzten acht Tage lang einen 15 Meter hohen
Industriekran, um eine Einigung zu erzwingen und zusätzliche mediale
Aufmerksamkeit zu erregen. Während des gesamten Kampfes fanden
Kundgebungen in Mailand und vor der Fabik statt.

Obwohl eine
Räumung zu diesem Zeitpunkt unausweichlich schien, zeigte der
aufgebaute Druck Wirkung. Am 12. August wurde eine Vereinbarung
unterzeichnet, der zufolge die Aktiengesellschaft Camozzi die Fabrik
kauft und die Produktion bis mindestens 2025 ohne Stellenabbau
weiterführt. Ein Datum für den Produktionsstart lag bei
Redaktionsschluss allerdings noch nicht vor. Bis zu diesem Zeitpunkt
wird das Camp vor der Fabrik bestehen bleiben, um auch die neuen
Besitzer an ihre Versprechen zu erinnern. In jedem Fall hat der
siegreiche Kampf bei der INNSE ein Zeichen gesetzt. Ein Zeichen
dafür, dass Arbeitskämpfe auch in scheinbar ausweglosen Situationen
gewonnen werden können, gerade mit unkonventionellen Mitteln und
einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung. Auch die
internationale Unterstützung von Seiten verschiedener europäischer
Gewerkschaften und anderer kämpfender Arbeiter war groß, u.a. gab
es Solidaritätsbekundungen der BesetzerInnen von Visteon und
polnischer MinenarbeiterInnen. So kann der Erfolg der ArbeiterInnen
der INNSE und ihrer UnterstützerInnen ein Beispiel für zukünftige
Kämpfe sein und über die Grenzen Italiens hinaus Signalwirkung
entfalten.

Daniel
Colm

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