Kolumne Durruti

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Erinnert
sich eigentlich noch jemand an den Job-Floater? Die Hartz-Kommission
nannte so ein Kreditprogramm, das Arbeitsplätze schaffen sollte,
aber partout nicht wollte. Wobei der Begriff Floater (engl.) laut
Lexikon ein erfolgreiches Wertpapier bezeichnet, oder auch einen
Köder – und eine Wasserleiche …. Egal, Hauptsache englisch und
irgendwie dynamisch floatend. Unter Gerhard Schröder sollte alles
anders werden – modern, flexibel, immer in Bewegung. Und so nannte
man das, was früher vielleicht
Bundesarbeitsvermittlungsmodernisierungsgesetz oder so ähnlich
geheißen hätte, Job-AQTIV-Gesetz. Klingt superdynamisch, und ist
sogar beinahe unverwechselbar. Bloß dank des Q! Ein echtes
Alleinstellungsmerkmal. Das Gesetz bescherte uns im Übrigen die
Eingliederungsvereinbarung. Nicht nur sprachlich also ein rot-grüner
Meilenstein. Also merke: Etwas denglisch und etwas verfremden, und
schon macht es was her. Das hat zugwendend auch die bis dato etwas
beamtenträge Bahn AG erkannt. Die Auskunft von damals heißt seitdem
ServicePoint, und statt einer einfachen Fahrt mit dem Bus zum
Flughafen Münster-Osnabrück bucht man nun ein EinzelTicket für den
City-Express nach Münster Airport. Da fliegt einem der urbane
Fahrtwind gleich wohlriechend um die Ohren.

Beste
KundInnen der Werbeagenturen, die originelle Anglizismen in
Serienproduktion aus ihren kreativen Hirnen schrauben, wurden fortan
übrigens die Friseursalons: So gibt es beispielsweise, bleiben wir
bei Münster, statt Salon Müller, Meier oder Schulze nunmehr CutGo,
Cut&Go (2x), Cut’n’Tech, Cut-Studio (2x), Headsmiths, Hair
affair, Hair discount, Hair dreams, Hair power und ein paar mehr von
der Sorte. Aber es ist Krise, und die trifft auch das in der Not
ziemlich verzichtbare Friseur-Handwerk mit voller Wucht. Allzu
dynamisches Neusprech weckt in Krisenzeiten zudem beänstigende
Konnotationen. Die neue Marktlücke heißt daher
Wohlfühlkapitalismus. Das hat man im Hair Business sofort erkannt
und setzte fortan auf lustige Wortspiele: Haarsträubend,
Haareszeiten, Haargenau, Kopfsalat, Querkopf, und – huiuiui – Die
Schnittstelle. Halbwegs zahlungskräftige Krisenüberlebende wollen
aber auch mal was fürs Gewissen. So wird fair gehandelte Kleidung
(dengl.: fairwear) immer beliebter. Und fair ist sowieso immer gut –
wer will sich im Fairsicherungsladen schon über den Tisch gezogen
fühlen? Das wissen die FriseurInnen längst. Fairschnitt und
Fairhair gibt es entsprechend auch schon mehrfach. Wird also Zeit für
die nächste Innovationswelle. Vielleicht lässt sich mit makabrem
Humor noch jemand fürs Haareschneiden gewinnen? Wie wärs mit „Um
Haaresbreite“ oder „Die Schere im Kopf“? Na ja, noch nicht ganz
so überzeugend ….

Und an
wem geht das Ganze ohnehin völlig vorbei? Richtig, an den
Gewerkschaften. Seit ver.di bringt der DGB kein einziges lustiges
Wortspiel zu Stande! Nix dynamisch, nicht mal fair. Und können die
überhaupt englisch außer „shareholder value“? Vielleicht sind
die auch einfach zu humorlos? Zu fairkopft? Natürlich, Klassenkampf
ist eine sehr sehr ernste Angelegenheit, aber wenn man sich als
Customer Care Agent (dt.: KundenpflegevermittlerIn) bei ver.di in
„Fachbereich 13 – Besondere Dienstleistungen“ organisieren
soll, schafft allein der Name schon ein fairhairendes Maß an
Zugehörigkeitsgefühl. Symbolisch ambivalent ist allerdings in
diesem Zusammenhang auch das selbstorganisierte münstersche Pendant
namens Telefonzelle. An solidarischer Nähe scheint es hier nicht zu
mangeln, aber an proletarischer Masse? Wir üben ja noch ….
BabyloHn ist schon mal ein Anfang.

Theo
Tolstoi

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